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  • Berührungen der Dunkelheit
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  • Tasten. Eine Hand, die wie eine Spinne durch die Dunkelheit kriecht, auf der Suche nach dem anderen Mädchen. Dann Wärme. Sie schläft. Sie bewegt sich nicht, als Jenny sie berührt, und in der Stille kann man ihre leisen Atemzüge hören. Die Beiden liegen zusammen unter einer fadenscheinigen Wolldecke in dem kleinen Raum. Nur sie beide. Wie lange, weiß Jenny nicht genau. Sie sprechen nicht viel. Es ist vollkommen dunkel, man kann nichts erkennen. Jenny ist neunzehn Jahre alt, Alicia sechzehn. Sie Beide kennen die genauen Umstände nicht, die sie auf diese Matratze geführt haben, doch sie wissen genug, um ohne Hoffnung zu sein. Alicia, die oft weint, hat nur Jenny, die ihr Halt gibt, und Jenny hat nur Alicia. Nur ihre Körper spenden Wärme. Der Raum ist nicht kalt, nein, nur kühl, und sie spende
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  • Tasten. Eine Hand, die wie eine Spinne durch die Dunkelheit kriecht, auf der Suche nach dem anderen Mädchen. Dann Wärme. Sie schläft. Sie bewegt sich nicht, als Jenny sie berührt, und in der Stille kann man ihre leisen Atemzüge hören. Die Beiden liegen zusammen unter einer fadenscheinigen Wolldecke in dem kleinen Raum. Nur sie beide. Wie lange, weiß Jenny nicht genau. Sie sprechen nicht viel. Es ist vollkommen dunkel, man kann nichts erkennen. Jenny ist neunzehn Jahre alt, Alicia sechzehn. Sie Beide kennen die genauen Umstände nicht, die sie auf diese Matratze geführt haben, doch sie wissen genug, um ohne Hoffnung zu sein. Alicia, die oft weint, hat nur Jenny, die ihr Halt gibt, und Jenny hat nur Alicia. Nur ihre Körper spenden Wärme. Der Raum ist nicht kalt, nein, nur kühl, und sie spenden sich Trost durch ihre Körper. Die Hände streichen in der Dunkelheit sanft über den Leib der Anderen, nehmen den Schmerz der nur dürftig verschorften Wunden. Da ist nichts Sexuelles. Nur die sanfte Verarztung, die dürftige Heilung. Ein Ersatz für Nahrung. Für eine Weile. Dann kehrt die Finsternis, die sie umgibt, in den Geist zurück. Das leise, quengelnde Stimmchen spricht dann wieder. Es weist Jenny auf Dinge hin, die sie zu verdrängen versucht. Die leise Stimme ist grausam. Sie sprechen wenig. Der immer rauer werdende Klang ihrer Stimmen ist schwer zu ertragen, denn er verdeutlicht die Einsamkeit. Die Einsamkeit zu zweit. Das Warten. Es sind Gespenster, die dir ins Ohr flüstern. Es sind Gespenster, die dich verzweifeln lassen. Es sind Gespenster aus deinem Kopf. Es sind deine Gespenster. Sie lassen nicht los. Jenny kann sich nicht erinnern, wie sie hierher gekommen ist. Der Heimweg... Ein Auto... Von den Scheinwerfern vergoldete Regenstrahlen... Die Rücklichter wie Höllenfeuer glimmend... Eine Hand mit einem Tuch. Dann dieser Raum. Die Hölle auf Erden. Doch ist das noch die Erde? Wie kann man das wissen? Ist man tot? Das fragt Alicia manchmal. „Sind wir tot, Jenny, sind wir tot? Oh, bitte.“ Und Jenny antwortet: „Wir sind nicht tot, natürlich. Leg dich jetzt hin, schlaf. Es wird besser.“ Dann weinen sie manchmal, weil Jenny lügen muss. Alicia kann sich auch nicht erinnern. Sie hat erzählt, vom Leben, das so lange zurück scheint. Vom Leben außerhalb dieses Raums. Jenny hat es nicht ertragen, musste sie zum Schweigen bringen. Es war zu schlimm. Jetzt sind beide schon mindestens einen Tag lang stumm. Der Hunger ist ein Problem. Es gibt nur wenig zu essen, und sie müssen teilen. Wasser rinnt an den Wänden hinab. Das kann man trinken. Es schmeckt nicht, aber es ist besser als kein Wasser. Der Hunger macht schwach. Manchmal hat Jenny beim Hinunterschlingen der Ration daran gedacht, Alicias mitzuessen. Bislang hat sie es noch nicht getan, und sie schämt sich jedesmal, wenn sie darüber nachdenkt. Noch ein Gespenst, der Hunger. Ein Gespenst aus dem Bauch. Es macht schwach. Es unterdrückt den Widerstand. Es unterdrückt alles. Manchmal laufen sie ab und zu durch den Raum, sich an den Wänden entlangtastend. Ansonsten würden ihre Muskeln vollkommen verschwinden. Dann plötzlich das schlimmste Geräusch der Welt. Das Geräusch, auf das sich ihre gesamte Wahrnehmung fokussiert, ihren Körper in das willenlose Spiel wilder Zuckungen stürzt. Die Hände auf den Mund. Bloß nicht schreien, nicht laut sein, nicht auffallen. Runter von der Matratze. In eine Ecke, so weit weg von der Tür wie möglich. Alicia ist aufgewacht. Sie hört den Schlüssel im Schloss, mobilisiert ihre Kräfte, um hochzukommen und in Richtung der Geräusche zu eilen, die Jenny macht. Sie fiept leise wie ein kleines Tier. Und genau das sind die beiden, Vieh auf der Schlachtbank. Beide in derselben Ecke. Spendeten sie sich davor Trost, so versucht jede, die andere fortzustoßen, zur Tür taumeln zu lassen. Nun kämpft doch jeder für sich allein. Alicia schlägt mit dem Kopf gegen die Wand, schmeckt zuerst Schimmel auf den Lippen, dann Kupfer. Blut. Der Schlag macht sie benommen. Auf einmal wird es kalt, kälter, kälter als es überhaupt sein kann. Denn die Tür ist offen. Jenny sieht ihre Chance kommen. Sie sind beide vom Licht der Taschenlampe in der Hand des Menschen geblendet, der sie eingekerkert hält. Nur ein einziger Mensch, und doch so leicht, ihn sich als Dämon vorzustellen. Weil er einer ist. Seine gierigen Augen verfolgen die panischen Bewegungen ihrer nackten Körper. Jenny sieht ihm einen Moment in die Augen. Dann stößt sie Alicia mit aller Kraft, die ihr noch bleibt, in Richtung Tür. Es geht viel zu leicht. Die Züge des Mannes in der Türöffnung verziehen sich zu einem spöttischen Grinsen. Dann schnellt der rechte Arm vor und grapscht nach dem Arm des Mädchens. Jenny sieht in albtraumhafter Zeitlupe, wie das Blut aus der Stelle entweicht, die er umklammert. Die Kleine stolpert. Ihr blonder Schopf, das verfilzte Haar, wird dazu benutzt, sie auf die Beine zu ziehen. Und das alles völlig leise. Nur ein kleiner, verzweifelter Laut. Aus wessen Kehle, weiß man nicht. Jenny sieht nur zu. Sie tut nichts. Ein letzter Blick Alicias, in dem unerträgliche Enttäuschung und Angst mitschwingen, noch, dann ist sie fort. Jenny weiß, was mit ihr passieren wird. Sie hat es auch schon erlebt. Sie wirft sich auf die Knie, schürft sie sich auf, bemerkt den Schmerz gar nicht. Die Tränen brennen auf den Wangen heißer als Feuer. Sie würgt salzige Galle hervor. Schlägt den Kopf gegen die Wand. Wieder und wieder. Die grausame Uhr, die die Stunden des Untergangs zählt. Doch das Schlimmste ist, dass Jenny irgendwo in sich drin, in einem kleinen, tiefen, feigen Teil froh ist. Sie wurde nicht mitgenommen. Gerade der Kampf. Später streicheln. Kummer und Trost. Eine Spirale, die sich abwärts dreht. Sie hat die Feile im Gürtel des Mannes gesehen. Die Wand, an die sie ihren Kopf lehnt, ist sehr dick und sehr feucht. Von der kalten Wand kommt nichts zurück. Jenny vertraut ihr alles an, während sie wartet. Es kommt nichts zurück. Irgendwann kann man nicht mehr warten. Es gibt nichts anderes. Das schlimmste Gespenst. Das Warten. Die Wand ist dick. Dennoch kann sie die Schreie äußerster Pein vernehmen.
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