abstract
| - Ich habe bisher noch niemanden davon erzählt … aber manche Sachen in meinem Leben kommen immer wieder. Ich glaube ich habe sie schon mal erlebt. Natürlich geht es wahrscheinlich jedem mal so. Aber manche dieser Déjà-vus sind so häufig, dass ich es nicht mal mehr zählen kann. Als wäre ich in einer endlosen Schleife von Wiederholungen gefangen. Es sind immer wieder die gleichen. Als hätte jemand mein Gedächtnis gelöscht, wieder und wieder, dabei aber diese paar kleinen Dinge niemals ganz erwischt. Und dieser jemand zwingt mich immer wieder das selbe zu tun. Ich habe dabei ein bestimmtes Gefühl, meistens irgendwie flau und unnatürlich. Mit jedem mal wird es stärker und unangenehmer. Ich kann mich nie genau an die Situation erinnern. Es ist kann auftreten, wenn jemand etwas bestimmtes sagt oder tut. Wenn ich einen bestimmten Weg entlang gehe oder manchmal ist es auch eine gesamte Konversation, die sich zum zwanzigsten mal wiederholt. Meistens versuche ich mir darüber keine Gedanken zu machen. Ich schiebe die Gefühle so schnell wie möglich weg. Aber niemals weit … Sie lauern in den hintersten Ecken meines Kopfes und warten darauf hervor zu springen. Vielleicht hat das etwas mit den Impulsen zu tun, die manchmal kommen. Ich bin ein sozialer und hilfsbereiter Mensch. Ich mag Tiere und Kinder und ich glaube die meisten meiner Freunde halten mich für lieb und nett. Aber manchmal denke ich an bestimmte Handlungen, die nicht richtig sind. Ich stehe mit einem Küchenmesser in der Hand hinter einem Freund und stelle mir vor was passieren würde, wenn ich zusteche. Oder wenn ich den Hals meiner Katze umdrehe, die sich schnurrend auf meinem Schoß einrollt. Oder jemandem einen kleinen Schubs gebe, der an einem Abgrund steht, oder auch einfach selbst springe. Dabei wird mir jedes mal übel. Ich muss mich tatsächlich dagegen wehren. Ich hasse es. Aus Angst versuche ich mich möglichst schnell aus dieser potentiellen Situation zu befreien. Lege das Messer aus meiner Hand, scheuche meinen Kater weg, entferne mich so weit wie möglich von dem Abgrund.. Das Gefühl bei diesen beiden komischen Sachen ist ähnlich. Eine Ohnmacht, die den Magen zusammenzieht und die Hände klamm werden lässt. Die dafür sorgt, dass ich denke, ich sei nicht ich selbst. Ich habe Angst. Oft schaffe ich es Monate lang nicht darüber nachzudenken. Die Situationen im gleichen Augenblick zu ignorieren und zu verdrängen. Sie einfach zu übergehen. Bis zu einem Tag. Mein Freund erzählte mir einen Witz, den ich noch nicht kannte. Doch ich kannte ihn. Ich lachte und sagte das was ich auch letztes mal sagte. Er antwortete daraufhin was er letztes mal sagte. Und wir kamen zu genau dem gleichen Schluss wie letztes mal. Und dabei dieses eine, bestimmte Gefühl. Wie ein Jucken in der Mitte meines Hirns. Ein flaues, ungreifbares Drücken, das meinen Körper lähmte. Ich wollte es wie immer übergehen, aber eine Sache war diesmal anders. Im Augenwinkel sah ich einen dunkel-lilanen Schatten, der bedrohlich hinter meinem Freund aufragte. Er stand ein paar Meter weit weg. Doch bevor ich genau hinsehen konnte verschwand er. Das war jetzt nicht mehr so leicht zu übergehen. Wobei ich es mit allen Mitteln versuchte. Am nächsten Tag bereitete ich gerade das Essen zu. Als ich in der Küche einen Topf mit kochendem Wasser abgießen wollte kam mein Freund nach Hause und trat in den Raum um hallo zu sagen. Der Impuls kam. Wieso schütte ich das kochende Wasser nicht in sein Gesicht? Was würde passieren? Wird die Haut nur rot oder schält sie sich direkt ab? Wirft sie blasen? Wird er schreien oder direkt bewusstlos? Die gewohnte Übelkeit machte sich breit und eine Unsicherheit die mich an mir zweifeln ließ. Mein Magen drehte sich um und schrumpfte zusammen, während meine Beine nachgaben. Als ich versuchte das alles wegzuschieben sah ich ihn wieder. Das Lila war intensiver. Er stand etwas näher und ich meinte die Silhouette einer beinahe menschlichen Gestalt darin zu erkennen... und sie nickte mir zu. So schnell ich konnte schüttete ich das Wasser in die Spüle und bekam durch die Hektik dabei selbst ein paar Tropfen des kochenden Wassers auf meine Arme. Mein Freund lachte aufgrund meiner „niedlichen“ Ungeschicklichkeit und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich versuchte zu lächeln. Als ich mich wieder umdrehte war der Lilane weg. Die nächsten Tage wurde ich immer nervöser. Schreckhaft und ruhelos. Meine Familie und Freunde machten sich Sorgen, aber ich sagte es liege an der stressigen Arbeit. Viel zu tun und ich wüsste nicht, ob ich alles schaffe. Sie redeten mir Mut zu und versuchten mich zu beruhigen. Mit meiner besten Freundin wartete ich gerade auf die Bahn, als sie mir sagte, ich werde das alles schaffen und dass es besser wird. Da hörte ich den nahenden Zug. Wie sieht es wohl aus wenn jemand von einem Zug erfasst wird? Zerplatzt er wie eine Fliege an der Windschutzscheibe oder rutscht er runter und wird von den Rädern zerteilt? Wie sehen diese abgetrennten Gliedmaßen dann wohl aus? Sieht man den Knochen oder nur das Fleisch? Spritzt das Blut oder sickert es andächtig in den Boden? Über meine Wahrnehmung legte sich ein betäubendes, graues Rauschen und ich merkte wie mich Schwindel ergriff. Diese Worte stachen in mein Hirn und sie waren glühend heiß. Ich musste nicht lang warten, da stand der Lilane direkt hinter ihr. Immer noch als Silhouette aber diesmal viel klarer. Seine Hand ruhte auf der Schulter meiner Freundin und sein Kopf war in meine Richtung gedreht. Wieder nickte er. Schlagartig drehte ich mich um, kniff die Augen zusammen, krümmte meinen Oberkörper leicht nach vorn, während ich mir an den Kopf griff. Irgendwie wollte ich so verhindern, dass er etwas tut, das ich nicht will. Ich versuchte mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Denk an Hundebabys, denk an Blumenwiesen, denk an irgendetwas anderes. Meine Freundin war verständlicher Weise recht irritiert und fragte ob sie etwas falsches gesagt habe. Ich drehte mich wieder um und sah den Lilanen gerade noch verschwinden. Er löste sich in eine Art Nebel auf und verschmolz mit der Umgebung. Schnell erwiderte ich, dass ich nur das Gefühl hatte niesen zu müssen und mich deshalb vorsorglich wegdrehen wollte. Sie glaubte mir. Selbstverständlich wurde die Anspannung und die Nervosität schlimmer. Ich konnte kaum noch schlafen und welzte mich im Bett nur hin und her. Um nicht immer an diese Gestalt denken zu müssen setzte ich mich an meinen PC. Das kalte, weiße Licht des Bildschirms durchflutete mein schwarzes Wohnzimmer. Als ich da saß und überlegte auf welcher Seite ich mich am besten ablenken könnte stach mir wieder dieses Déjà-vu-Gefühl in die Brust. Es war diesmal einer dieser eher undeutlichen Momente. Während ich tippte, wusste ich, dass ich jetzt normalerweise immer „Déjà-vu“ in die Suchleiste eingegeben habe. Ich rieb mir die Augen. Das lilane Leuchten war im Begriff zu verschwinden, als ich meine Hände runter nahm. Er war offenbar wieder da. Nachdem ich las, was ich auch letztes mal über diesen Begriff las, lehnte ich mich zurück und versuchte meinen Frieden mit diesem Gefühl der Flauheit zu finden, das natürlich wieder da war. „Immerhin besser als die Impulse.“, dachte ich mir und merkte, dass ich schon wesentlich ruhiger damit umgehen konnte. Vielleicht war das alles auch nicht so schlimm, wie ich die gesamte Zeit angenommen hatte. Ich schaltete meinen Rechner aus und ging ins Bett. Dabei gelang es mir sogar einige Stunden Schlaf zu finden. Ich fühlte mich, als sei ich auf dem Weg der Besserung. Wesentlich besser gelaunt fuhr ich am nächsten morgen zur Arbeit. Natürlich war ich etwas übermüdet, aber ich hatte einen vorsichtigen Optimismus. Im Auto nippte ich an meinem Thermo-Becher mit heißem Kaffee. Aus der Ferne sah ich einen Schulbus auf der Gegenspur, der voll besetzt und auf dem Weg zur Schule war. Wie sieht es wohl aus, wenn dreißig unangeschnallte Kinder durch einen Bus gewirbelt werden? Durchschlagen sie die Scheiben oder prallen sie nur dagegen? Wenn sie sie durchschlagen, machen sie das am Stück oder nur in Teilen? Wenn sie mit voller Wucht gegeneinander klatschen, können ihre Schädel dann bersten? Wie viele könnten überleben? Kotzen sie, wenn sie die verstümmelten, zerfetzen Leichen der Mitschüler sehen? Kreischen und heulen Kinder anders, wenn sie WIRKLICH Schmerzen haben? Ohnmacht überkam mich als ich meinen Kaffeebecher in den Fußraum fallen ließ. Der Lilane saß auf meinem Beifahrersitz und schaute mich mit seinem leeren Gesicht an. Er griff nach meinem Arm, der das Lenkrad verkrampft und mit aller Macht festhielt. Dann zog er daran. Ich konnte nur beobachten wie ich mein Auto langsam auf die Gegenspur führte und dabei frontal auf den Bus zuhielt. Mein Bewusstsein hing in Fetzen an mir herab, als die gedämpften Töne von Hupen und Schreien an meiner Wahrnehmung kratzten. Dabei empfand ich einen inneren Frieden, der mir noch nie zuteil wurde. Die Sekundenbruchteile waren wie ein ganzes Leben in dem ich mich befand. Und zum ersten mal verstand ich, dass der Lilane der einzig wahre Freund ist, den ich habe. Nichts ist echt. In meinem Leben gab es bis zu diesem Moment nicht eine Wahrheit. Aber hier ist sie. Sie rast im wahrsten Sinne des Wortes auf mich zu. Meine Mimik entspannt sich und ich nehme die Hände vom Lenkrad. Der Busfahrer versucht mir auszuweichen und prallt stattdessen in eine Häuserwand. Wie von selbst und gehüllt in einen beruhigenden, fliederfarbenen Schein trete ich auf die Bremse und steige aus um zu beobachten was geschieht. Während ich sehe wie die verzerrten, verdrehten Leiber der Kinder in den unnatürlichsten Weisen zerfleddert werden, ist nichts mehr da. Kein Jucken, keine Übelkeit, kein Schwindel. Nur die tiefgehende Gewissheit das Richtige getan zu haben. Der Lilane ist jetzt eins mit mir. Der einzig wahre Freund. Meine Sicherheit wurde jäh unterbrochen. Da war es wieder. Das flaue Wissen eines Déjà-vus. Es war noch nicht so stark wie die meisten anderen, aber es war definitiv da. Kurz zweifelte ich, während ich meine Augen schloss und auf die Knie sank. Dann wurde es schwarz. Es gab keine Farben, keine Gefühle, keine Empfindungen. Ich löste mich auf im absoluten Nichts. Ich habe bisher noch niemanden davon erzählt … aber manche Sachen in meinem Leben kommen immer wieder. Ich glaube ich habe sie schon mal erlebt...
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