abstract
| - Der Mann saß alleine inmitten eines weiten Feldes, als er zum ersten Pinselstrich ansetzte. Kühler Wind sauste ihm um die Ohren und verstreute den Geruch dieses Ortes in alle Himmelsrichtungen, während die Sonne langsam am Horizont erschien und alles in ein unwirkliches Rot tauchte. Keine Stimme war mehr zu hören, lediglich das unheilvolle Krächzen eines einzelnen Raben schallte über die Ebene und durchbrach die Stille. Die Umgebung flüsterte ihm verlockend etwas zu, das nur für ihn bestimmt war. Just in diesem Moment zog er sein Werkzeug energisch quer über die Leinwand, so unvermittelt und stark, dass es die Staffelei in Schwingung versetzte. Eine dünne braune Linie trennte die weiße Fläche nun, ungefähr in der Mitte. Weitere Striche folgten, bis die untere Hälfte vollkommen zu lebloser Erde geworden war. Ähnlich erging es auch dem oberen Teil, bis auf den entschiedenen Unterschied, dass dieser in ein dunkles Blutrot getaucht wurde. Er wartete einen Moment, um die Landschaft eingehend zu betrachten. Die kleinen Erhebungen, Risse im trockenen Boden, Täler, die zahlreichen Trümmer, jedes noch so winzige Detail verinnerlichte er sorgsam. Dann setzte er die Arbeit fort, fügte mit penibler Genauigkeit unzählige Details hinzu, bis man fast dachte, eine Fotografie zu erblicken. Der Himmel war bereits orange, als er zum nächsten Schritt überging. Beflügelt vom heiteren Klang der Wolken, die lustig hoch über ihm schwebten, machte er eine grazile Drehung. Der Pinsel wurde in Weiß getaucht und tanzte bald kunstvoll über den roten Horizont. Im Nu war er bewölkt, doch etwas fehlte. Andere Farben mussten hinzu, um die Illusion täuschend echt zu halten. Auch diese Aufgabe bewältigte er mühelos. Nun war es Zeit für eine Pause, vor dem großen Finale würde er Kraft brauchen. Ein kurzer Blick versicherte ihm, dass sein Gemälde bereit war, gefüllt zu werden, denn noch fehlte das, was auf dem endlosen Feld spross. Die zerstörten Blumen dieser endenden Welt. Es würde sein Meisterwerk werden, ein stilles Bildnis dieser verrückten Zeit. Um neue Energie zu erlangen, bückte er sich nach etwas Essbarem. Davon hatte er reichlich, auch wenn er sich in dieser Ödnis seit Wochen auf zähes Fleisch beschränken musste. Man gewöhnte sich an alles und sah es bald als Selbstverständlichkeit an, hörte auf, nachzufragen. So war er, so waren die Menschen. Ein paar Schlücke Wasser trank er ebenfalls, auch wenn es bei Weitem nicht reichte, seinen Durst zu stillen. Es hätte genug gegeben, doch es war für sein Werk bestimmt. Nur das allein zählte noch, für alles Andere war es längst zu spät. Von Entschlossenheit erfüllt, wendete er sich wieder der Arbeit zu. Er ging tief in sich, lauschte zum letzten Mal der klagenden Melodie seiner Heimat, ließ sich von ihr führen. Und dann begann er unvermittelt den Pinsel zu schwingen und immer wieder neue Farben zu mischen. In dem kargen Land erschienen langsam immer mehr bunte Flecken und nahmen zögerlich feste Gestalt an, als er, wie ein wild gewordener Dirigent, mit nun sogar zwei Malwerkzeugen, seine wunderschöne und doch so grausige Symphonie spielte. Immer schneller wurde er, als hätte ihn der Wahnsinn befallen. Mehr und mehr Striche, unzählige Farben vermischten sich. Alles floss ineinander, in harmonischer Eintracht gefangen. Er spürte, dass seine Zeit gekommen war und wurde noch stürmischer. Rot, grün, blau, gelb, weiß, schwarz... Weiter und weiter, scheinbar ohne Sinn. Plötzlich hörte es auf. Mit schwachen, zittrigen Händen schrieb er den Titel, den letzten Schliff, der zur Vollendung von Nöten war. Auf seinen Namen verzichtete er, da es niemanden mehr geben würde, für den dieser von Bedeutung wäre. Der Pinsel rutschte aus seiner Hand, als er, mit einem undeutbarem Lächeln im Gesicht, die Augen schloss und zu Boden sankt. Der Rabe schwebte ebenfalls hinab, um seine schwarzen Federn, die das Licht der Sonne in schillernder Pracht reflektierten, über ihm auszubreiten, wie die sanften Schwingen eines Todesengels. Als die Sonne das Feld mit hellen Strahlen flutet, schwingt sich der Vogel wieder in die Lüfte und verschwindet in der Ferne. Ein Gemälde erhebt sich über dem ausgedörrten Grund und bildet ab, was der Maler erblickt hatte: Zertrümmerte Häuser, verbrannte Bäume und Leichen, unzählige Leichen. In der unteren Ecke steht klein und unscheinbar ein Titel. Kategorie:Geisteskrankheit Kategorie:Kurz Kategorie:Artikel ohne Bilder Kategorie:Tod
|