abstract
| - Du befandest dich in einem kleinen Raum. Um dich herum war alles weiß. Auf den Wänden war nicht der kleinste unreine Fleck zu sehen. Kein Schimmel. Keine Anzeichen von Wasserschäden oder sonstiges. Es war in einem strahlenden, schönen und reinen Weiß gestrichen worden. Es war einfach vollkommen perfekt. Genauso wie der Betonboden, der in derselben Farbe strahlte. So rein. So vollkommen. Bei längerer Betrachtung taten deine Augen fast schon weh. Du musstest zweimal blinzeln, damit es einigermaßen erträglich für dich war. Doch du wolltest deinen Blick nicht von diesem Raum abwenden. Irgendetwas hielt dich davon ab, jedoch konntest du nicht sagen, was es war. Plötzlich begann sich dein Körper von alleine zu bewegen. Ohne, dass du auch nur die Kontrolle über deine Muskeln hattest, gingst du langsam in Richtung der Wand voran. Deine Finger kribbelten vor Aufregung. Du wolltest diese Wand berühren, denn du wusstest, dass da etwas zu sein schien. Etwas, was die Perfektion zu Nichte machen könnte. Ein Fehler, der nicht in dieses Schema, in dieses wundervolle Abbild passte. Vorsichtig strecktest du deine Hand nach der Wand aus. Dieses Kribbeln verschwand und ein heftiges Zittern trat stattdessen ein. Deiner Aufregung wich nun Angst. Angst davor, was passieren könnte, wenn die sie berührst. Angst davor, was das sein mag, das du berührst. Deine Fingerkuppen ertasteten nun die weiße Wand. Du atmetest erleichtert auf. Es passierte nichts. Es war alles nur ein Irrtum. Alles war und blieb perfekt. Langsam fuhrst du mit deinen Fingern die Wand entlang. Wolltest sichergehen, dass alles beim Rechten blieb. Etwas Putz rieselte wie weißer Schnee auf dem Boden herab und färbte auf deinen Fingern ab. Aber das war normal. Das passierte immer. Bei jeder Wand. Auf einmal spürtest du aber etwas, was nicht passte. Was vollkommen fehl am Platz war. Es fühlte sich an wie ein Riss. Ein tiefer, schwarzer Riss, der die Wand bis zu einem bestimmten Punkt zeichnete und somit das vollkommene Selbstbild zerstörte. Du fuhrst diesen Riss immer weiter entlang, weil du wissen wolltest wohin er führt und wie weit er die Wand zerstören würde. Doch zu diesem Zeitpunkt ahntest du noch nicht, welche Fehler daraus resultieren würden. Die kleinen schwarzen Krümel schienen sich mit jedem weiteren Mal Stück für Stück in deine Haut einzubohren. Immer wieder zucktest du zusammen, als sie wie kleine, feine Nadeln in deine Haut einstachen und in deine Blutbahn gelangten. Unaufhörlicher Schmerz machte sich in dir breit und lies deine Adern schneller pulsieren. Förmlich konntest du spüren, wie deine Hand sich bei jedem Pulsschlag zusammenkrampfte und deine bläulich schimmernden Adern schwarz einfärbte. Ritsch. Da war etwas. Schon wieder! Es hörte sich an, als würde etwas reißen. Nun lief dir ganz langsam etwas Eiskaltes an deinem Gesicht herab. Mit dem Handrücken wischtest du es weg und starrtest darauf. Beim Anblick stockte dein Atem, dein Herz setzte für einen Moment aus. Pechschwarzes Blut klebte an deiner Hand. Als du nun langsam deine Wunde anfasstest, zucktest du zusammen. Ein höllischer Schmerz bahnte sich den Weg durch deine Nervenbahnen im Gesicht. Du wolltest schreien, doch kaum hattest du deinen Mund geöffnet, ertönte dieses widerliche Geräusch erneut. Ritsch. Es hörte sich so an, als ob man saftiges, rohes Fleisch mit bloßen Händen zerreißen würde. Von deinem Mundwinkel aus, hin zu deinen Wangen, trat erneut dieses schwarze Blut heraus. Es fühlte sich so ekelhaft kalt an, dass es dir eine widerliche Gänsehaut an deinen Armen bereitete. Gefolgt von der Kälte tauchte auch wieder der Schmerz auf, doch diesmal bliebst du still. Nur ein leises Wimmern war zu hören. Es halte in einer unnatürlich hohen Lautstärker an den Wänden wieder. Höher, als du es eigentlich von dir gegeben hattest. Plötzlich hörtest du es erneut. Ein Riss. Aber es klang nicht mehr so ekelhaft, wie auf deiner Haut. Es hörte sich klar und natürlich an. Als würde einfacher Beton reißen. Augenblicklich wanderte dein Blick zur Wand. Vor Schreck weiteten sich deine Augen. Ein riesiges klaffendes Loch hatte sich inmitten dieser vollkommenen Wand gebildet. Umgeben von schwarzen kleinen Rissen, die wie Adern pulsierten und in ihnen schien etwas zu fließen. Eine merkwürdige schwarze Substanz, die nach verdorbenem Fleisch roch. Du würgtest. Wolltest dich übergeben, doch kaum hattest du dich nach vorne gebeugt, ertönte dieses widerliche Geräusch. Diesmal schien aber etwas in deinem Inneren gerissen zu sein. Alles, was du hervorbrachtest, war ein gequältes Gurgeln gefolgt von einer klebrigen, schleimigen, schwarzen Substanz, die einen eigenartigen Kontrast zu dem perlweißen Boden hergab. Vor deinen Augen riss nun auch der Boden in zwei und die steinige Rille füllte sich mit deinem Blut. Panisch schaustest du dich nach einem Ausgang um, doch da war keiner. Du warst gefangen. Gefangen in einem Raum voller grauenvoller Risse, die immer näher zu dir herwanderten, wie eine giftige Schlange, die dich jeden Moment beißen könnte und ihr Gift sich durch deine Adern und Herz fressen würde. Zusammengekauert saßt du in einer Ecke und weintest. Du weintest, weil du wusstest, dass du der Wahrheit nicht entfliehen konntest. Die Welt war nicht so perfekt, wie du zu Anfang glaubtest. Aber nicht nur die Welt hatte ihre Fehler. Du warst auch nicht perfekt. Und wirst es auch niemals sein. Es wird immer Risse in deinem Leben geben, die dich zerstören, so wie sie den Raum zerstört haben, und die mit etwas Schlimmen gefüllt sein werden, wie Fehlern, die die schwarze, klebrige Substanz im Raum widerspiegelte. Ein allerletztes Mal betrachtetes du deine inzwischen vollkommen aufgerissene Haut und die pulsierenden, klaffenden Wunden, ehe du deinen letzten Atemzug tatest und die letzten Fleisch zerreißenden Risse in deinen Ohren erklangen. Blut spritzte auf den Boden und nährte die Rillen, die sich wie ein gieriges Maul zu einem Loch zusammengetan hatten und darauf warteten, dich vollkommen zu verschlingen.
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