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| - Dutzende von langen hölzernen Rudern trieben die Chalkis Stolz voran. Neben und hinter der Kampfdromone hielten fast zweihundertfünfzig Schiffe Antharlans ihren Kurs, wurden von den Rudern und einem leichten Rückenwind an der Grünen Küste der Insel Aldrajo vorangetrieben – auf den gleichnamigen Hauptort der Insel der Waldläufer, wie sie auch genannt wurde, zu. Am Bug der Dromone, gleich über dem rechten, in bunten Farben aufgemalten Auge, standen zwei Männer. Die Augen der Küste zugewandt, schienen sie in reger Unterhaltung. Keine dreißig Sommer alt, eine hagere Gestalt, mit strähnigem, langen Haar, in einem langen, hellen Gewand – Hecatas, Hofmarschall und Aufseher der Schreiber, vor allem aber Jugendfreund des Anian Turcas, das war der eine. Der andere Mann war er selber – Anian Turcas. Eine bequeme Tunika, weiss mit purpurnen Säumen, die bis knapp oberhalb der Knie reichte und kurze Ärmel hatte, dazu lederne Sandalen und einen Waffengürtel an dem lediglich ein langer Dolch hing; für die Seefahrt hatte der Vizekönig auf behindernde Kleidung weitgehend verzichtet. „Ich glaube schon“, begann Hecatas gerade, „dass es eine gute Idee war, den aldrajischen Fischer, den wir gestern trafen, vorzuschicken und unsere Ankunft in Aldrajo anzumelden. Obwohl Chana . . .“ Er schwieg bedeutungsvoll, setzte dann aber hinzu: „Wenn du deine ursprünglichen Pläne weiter verfolgt hättest, wäre es bestimmt besser gewesen, Chana hätte von unserem Erscheinen nichts geahnt.“ „Aye“, stimmte Anian zu. „Aber der Kaiser hat mir die Vollmachten verweigert, sagte, er hätte selbst Pläne mit Chana.“ „Aber er kennt den alten Piraten doch gar nicht“, warf Hecatas jetzt ein. „Wie kann er da Pläne machen?`Und vor allem, Chana ist auf Aldrajo noch nie beliebt gewesen, was kann sich der Kaiser davon versprechen, ihn vor seiner gerechten Verhandlung zu bewahren?“ „Weiss ich es?“ Anian schien leicht verärgert. „Er hat es nicht für nötig gehalten, mich von seinen Plänen zu unterrichten. Vielleicht will er selbst nach Aldrajo kommen und Chana vor Gericht stellen.“ „Hm,“ Hecatas warf einen nachdenklichen Seitenblick auf seinen Freund. „Du und Bofri... Du und der Kaiser“, verbesserte er sich dann. „Ich bin mir immer noch nicht ganz darüber im Klaren, was dich eigentlich an ihn bindet. Meiner Frage damals in „Chnums Freude“ bist du irgendwie aus dem Weg gegangen. So frage ich dich hier nochmals: Hast du ihm Treue geschworen?“ Anian blickte ihn lange an. „Er hat es nicht verlangt.“ Und dann fügte er mit einem bitteren Ton in der Stimme hinzu, der Hecatas aufhorchen liess: „Er hat sogar meinen Schwur, mein Leben für ihn zu geben und solange es währt zu dienen, wenn er mich zum König Antharlans machen würde, abgelehnt. Er ist darüber hinweg gegangen, wie der Kapitän einer Kriegsgaleere über das Stöhnen der Rudersklaven hinweggeht. In seinem Drang, selbst König zu werden, scheint meinem Kaiser nichts an meinem Eid gelegen gewesen zu sein. Er hielt es nicht für nötig . . .“ Verbittert brach er ab. „Und dadurch fühlst du dich beleidigt?“, fragte Hecatas nach. Anian biss sich auf die Unterlippe, während sein Blick einem Sturmsegler folgte, der leicht auf den Flügeln des Windes neben der Dromone segelte. „Ich kann es mir nicht leisten, beleidigt zu sein“, sagte er dann. „Man kann sagen was man will, aber ich habe ihn anerkannt. Er ist mein König und mein Kaiser.“ Hecatas schüttelte den Kopf. „Das kannst du sagen, wenn andere um uns sind. Doch leis' gesteh mir, dass es dich kränkt und dass du ihm darum zürnst.“ 2- Wieder schwieg Anian lange, dann legte er dem Freund vertrauensvoll eine Hand auf die Schulter. „Wir kennen uns seit den Tagan unserer Jugend auf Arah. Wir haben am Strand des Sangal Muscheln zusammen gesucht, die Delphine beobachtet und sind gemeinsam in die Klammwälder geflohen, denn die Schiffe von Piraten die Inseln bedrohten. An unsere Jahre auf Caldun werde ich noch lange denken. An den Schwarzen Bronto, die Säle in Akrocaldun, die Bibliothek. Nein, ich will keine Geheimnisse vor dir haben. Und ja, mein Herz trägt schwer an dem Kummer, dem Bruch des Vertrauens, den mir der Kaiser angetan hat, kaum dass ich ihn anerkannte. Schon dass er den Treueschwur ausgeschlagen hat, und wie er's getan hat, war stark! Doch schlimmer noch, verschenkt er Antam, ohne mit mir darüber vorher zu sprechen und weigert mir die wohlerworbene Vollmacht, auf Aldrajo Gericht zu sprechen.“ Eine Art verzweifelter Zorn schien aus dem ehemaligen Dux von Caldun brechen zu wollen. Weiss trat die Haut über seinen Fingerknöcheln hervor, als er die Reling umklammerte, die Nägel ins Holz bohrte. „Und ich muss zu all dem schweigen, muss es hinnehmen, wie ein Sklave die Launen seines Herrn hinnehmen muss. Denn sprech' ich dagegen, versucht er mir alles zu nehmen, versucht er alles an sich zu zieh'n. Ach Hecatas, meine schlimmsten Befürchtungen scheinen wahr zu werden.“ Der Angesprochene runzelte die Stirn. „Wenn du ihm nicht geschworen hast . . . Eine Anerkennung kann man zurücknehmen, wenn der Anerkannte sich nicht als würdig erweist. Ein Schwur wäre bindender gewesen.“ Anian richtete sich auf und sein Blick wurde hart. „Ich gebe mein Wort nicht heute, um es morgen zurückzunehmen! Er ist mein Kaiser und mein Herr. Er ist es, weil ich es so wollte! Aus keinem anderen Grund und wenn er nicht würdig sein sollte, dann werde ich dies wissen und handeln. Solange – ich war allzeit treu und werd's immer sein, solange es gerecht ist.“ Hecatas nickte betrübt. „So warst du schon früher. Ein Mann, ein Wort und ein Schwur ist heilig. Oh Anian, werde erwachsen! Wer in unserer Welt hält sich denn noch daran? Schau um dich. Macht und Besitz! Danach streben sie alle! Ob auf Rillanon, in Karalo-Floran oder Bagund. Vergiss Nueve Ralanda nicht. Mag sein, dass der Kaiser nicht den Befehl gegeben hat, aber warum verschweigt er dir dann, wer wirklich dahinter steckt? Denk an den feigen Überfall der Karalo-Floraner und Bagunder, denk an die Gier ihrer Fürsten. Und du selbst, strebst du nicht nach der Krone?“ „Aber nicht um diesen Preis!“, fuhr Anian auf. „Wahrheit und Gerechtigkeit gehen noch immer vor und mit Falschheit und Betrug gewinne ich sie nicht. Da sei Artan vor und Pura mit mir!“ Anian wandte sich ab, richtete den Blick wieder auf das Meer hinaus. Lange war Schweigen zwischen den Freunden, dann meinte Hecatas, nach einem Blick auf den Horizont: „Dort kommt bald Aldrajo in Sicht. Wir sollten noch einmaal unser Vorgehen absprechen und umziehen müssen wir uns auch noch.“ Anian nickte und gemeinsam gingen sie zum Achterdeck, wo ihre Kabinen lagen. An den Kais und den Hafenstrassen der Stadt Aldrajo herrschte drangvolle Enge. Tausende Ein- und Umwohner hatten sich eingefunden. Dazu waren auch augenscheinlich einige Hundertschaften der Garnisonstruppen aus der Burg im Anthos, die ebenfalls noch Aldrajo genannt wurde, eingetroffen. Als die Chalkis Stolz anlegte, wurde sie von einer Gruppe von Männern erwartet. 3 - Auf einer eiligst ausgelegten Laufplanke verliess Anian die Dromone. Dicht gefolgt von den Gefährten, seinen amzonischen Leibwächterinnen, den Heermeistern Helmond Van und Sibar. Dazu kamen noch ausgewählt Krieger des Heeres, das er auf seinen Schiffen gegen Caldun führte, gut fünfzig an der Zahl. Aus der Gruppe der ihn Erwartenden eilte ihm einer sogleich entgegen. „Heermeister Phillippon Goranges!“, rief Anian erfreut und umfasste die Arme, die dieser ihm freudestrahlend entgegengehalten hatte. „Mein Dux. Viele Monde sind vergangen, seit du mich zum Befehlshaber der Krieger hier auf Aldrajo ernannt hast. Und glückliche Tage waren es damals in Caldun, als wir zusammen diese Truppe aufstellten. Wer hätte ahnen können, was sich am Horizont zusammenbraute? Doch jetzt bist du hier und halkyonische Tage erwarten uns.“ Voller Freude umarmte der junge Heermeister, der sich bei Allandean als Hundertschaftsführer bewährt hatte und der daraufhin später von Anian zum Heermeister der Garnison von Aldrajo ernannt worden war, den Älteren. Dann wandte er sich um und wies auf die Männer in seiner Begleitung. „Der Rat der Waldläufer und ihr Sprecher, der edle Delos Tramat.“ Der Angesprochene verneigte sich kurz und auch die anderen Männer nickten Anian zu. „Mit mir zusammen,“ fuhr Phillippon fort, „die Verwaltung der Insel.“ „So?“, fragte Anian überrascht, „und wo ist der selbsternannte Stratege, wo ist Chana Berynnos? Sollte er nicht zu meinem Empfang anwesend sein? Und wieso gehört er nicht zur Verwaltung der Insel? Habt ihr ihn abgesetzt?“ „Aber nein, Herr“, wehrte Phillippon ab. „Er ist noch immer Strategos. Doch er ist – alt geworden und . . . ach, sieh selbst. Er ist im Palast, wie immer.“ Anian wandte sich um und warf seinem Gefolge einen bedeutsamen Blick zu. Dann nickte er und folgte dem Rat und dem Heermeister, die voraus gingen. Zuerst erreichten sie das Spalier der Krieger der Garnison. Wie auf ein Kommando zogen die Männer ihre Schwerter und schlugen damit gegen ihre Schilde. Wie Trommeln aus Erz dröhnte es durch den Hafen... ((Fortsetzung folgt...))
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