abstract
| - Der Bund entstand im Zusammenhang mit der Agrarkrise der frühen 1890er-Jahre und den Protesten der Landwirte gegen die weniger protektionistische Agrarpolitik des Reichskanzlers Leo von Caprivi. Nachdem der Reichstag 1878 aufgelöst worden war, weil er Bismarcks Sozialistengesetz nicht akzeptieren wollte, konnte sich der Kanzler im neugewählten Reichstag auf eine viel breitere agrar-konservative Mehrheit stützen und der Landwirtschaft zurufen: „Der Landwirtschaft schuldet der Staat die gleiche Beachtung wie der Industrie; wenn beide nicht Hand in Hand gehen, wird keine ohne die andere stark genug sein sich zu helfen.“ 1882 ernährte die deutsche Landwirtschaft noch fast so viele Menschen wie Handel und Industrie zusammen; im Jahr 1895 stand sie schon allein hinter der Industrie um fast 2 Millionen Arbeitnehmer zurück. Industrie und Banken boomten. So fühlte sich die Landwirtschaft nach Bismarcks Sturz 1890, bei zunehmender Landflucht und bei zugleich rapide sinkenden Getreidepreisen existentiell bedroht durch Bismarcks Nachfolger Leo von Caprivi, einen der Landwirtschaft fernstehenden preußischen General, der sich noch damit brüstete „ohne Ar und Halm“ zu sein. Caprivis Handelsverträge, die er mit Russland und Österreich abschloss und die sich für Industrie und Handel sehr segensreich auswirkten, wurde von der Landwirtschaft als eine Gefährdung ihrer Lebensfähigkeit angesehen. Der Bund der Landwirte wurde auf einer Aufsehen erregenden, von zehntausend Menschen in den Sälen der Berliner Tivoli-Brauerei besuchten Gründungsversammlung ins Leben gerufen. Seine Mitglieder stammten aus den meisten protestantischen Gegenden des Reiches. Die Hochburgen lagen in Nord- und Mitteldeutschland und insbesondere in Preußen. Bereits im Mai 1893, nur drei Monate nach Gründung des BDL konnte dieser in den anstehenden Reichstagswahlkampf eingreifen und am 13. Juli 1893 mit der von ihm inspirierten Wirtschaftlichen Vereinigung unter Wilhelm von Kardorff, Berthold von Ploetz und Diederich Hahn bereits 140 Abgeordnete, also etwa ein Drittel des Parlaments, auf seine Interessen verpflichten. Bereits 1893 hatte der BDL 200.000 Mitglieder, im Jahr 1913 waren es gar 330.000. Nur ein Prozent davon waren Großgrundbesitzer, 24 % waren Vollbauern und 75 % Kleinbauern. Die Führungspositionen wurden allerdings von den ostelbischen Großgrundbesitzern eingenommen, darunter als Vorsitzender von 1898 bis 1920 der pommersche Gutsbesitzer und nationalkonservative Politiker Conrad Freiherr von Wangenheim. Auch der Kurs der Organisation war im Wesentlichen auf deren Interessen ausgerichtet. Der Verband war modern organisiert und beschäftigte eine Reihe meist bürgerlicher Verbandsfunktionäre. Die Gründer des Bundes hatten sich dabei bei aller inhaltlichen Distanz ausdrücklich auch an den Methoden der Sozialdemokraten als der damals stärksten Massenbewegung orientiert, wie es etwa der Aufruf des Generalpächters Ruprecht-Ransern aus dem Dezember 1892 deutlich macht: „Ich schlage nichts mehr und nichts weniger vor, als dass wir unter die Sozialdemokraten gehen und ernstlich gegen die Regierung Front machen (…) und sie unsere Macht fühlen lassen (…) Wir müssen aufhören zu klagen (…). Wir müssen schreien, dass es das ganze Land hört, wir müssen schreien, dass es bis in die Parlamentssäle und die Ministerien dringt - wir müssen schreien, dass es bis an die Stufen des Thrones vernommen wird (…) Aber wir müssen, damit unser Geschrei nicht auch wieder unbeachtet verhallt, gleichzeitig handeln (…) Wir müssen (…) Politik und zwar Interessenpolitik treiben; (…) denn nur dadurch, dass wir rücksichtslose und ungeschminkte Interessenpolitik treiben, kann vielleicht die Existenz der heutigen Landwirte gerettet werden.“ Diederich Hahn, am 21. Juni 1897 vom Bundesausschuss des BDL als volkswirtschaftlicher und politischer Direktor in den dreiköpfigen engeren Vorstand gewählt, hat den Aufbau der Organisation stark mitgeprägt. Der Bund verfügte über verschiedene eigene Publikationsorgane und beschäftigte zur Agitation besondere Wanderredner, die vor allem im wenig arbeitsintensiven Winterhalbjahr in den Dörfern sprachen. Die Bundesleitung verfügte zudem über eine eigene Wahlabteilung, um die Aufstellung eigener Kandidaten zu koordinieren. Während der Wahlkämpfe sorgte die Abteilung für einheitliche Propaganda. Ein besonderes parlamentarisches Büro in der Zentrale war zuständig für die Betreuung der dem Bund nahestehenden Parlamentarier. Eine Reihe von Nebenorganisationen, wie Einkaufsgenossenschaften, bot den Mitgliedern ökonomische Vorteile und sorgte für die Stabilisierung der Mitgliederzahlen. Insgesamt arbeiteten 1913 über 350 Angestellte in der Hauptverwaltung und etwa 400 in weiteren Verwaltungsstellen etwa in den verschiedenen Regionen.
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