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  • Ancora Daemonium - Zwischenspiel II
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  • I ‚Wer ins Krankenhaus aufgenommen werden muss, dem ist in der Regel nicht nach Formularen und ausführlichen Befragungen zur Person zumute. Obwohl Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Technik heute wichtige Begriffe im Krankenhausbetrieb sind, kann und darf der caritative Grundgedanke, den in Not geratenen Menschen zu helfen, nicht vergessen werden. Wir, als ein katholisches Krankenhaus, der heiligen Agatha geweiht, versprechen jedem einzelnen Patienten…‘ ‚DiCato, Maja‘ II
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  • I ‚Wer ins Krankenhaus aufgenommen werden muss, dem ist in der Regel nicht nach Formularen und ausführlichen Befragungen zur Person zumute. Obwohl Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Technik heute wichtige Begriffe im Krankenhausbetrieb sind, kann und darf der caritative Grundgedanke, den in Not geratenen Menschen zu helfen, nicht vergessen werden. Wir, als ein katholisches Krankenhaus, der heiligen Agatha geweiht, versprechen jedem einzelnen Patienten…‘ „Ihr wollt mich wohl verarschen!“, flüsterte Christian und ließ die Broschüre sinken. Als er las, dass dieses Krankenhaus niemand anderem als der heiligen Agatha gewidmet sein sollte, war ihm, als würde sich der pantheistische Gott höchst selbst über ihn lustig machen. Er ließ seine Augen durch die Eingangshalle des Krankenhauses schweifen, so als könnten die steril-weißen Wände ihm die Antworten liefern, nach denen er sich so sehr sehnte. Jetzt war er tatsächlich hier, in einem weitläufigen Foyer, zwischen metallischen, an der Wand festgeschraubten Bänken, zwischen Rollstühlen und schlecht gewählten Bibelzitaten an der Wand, zwischen unmotiviertem Personal und Menschen, die nach Tod stanken und allem Anderen, das einen solchen Ort ausmachte. Christian kannte diese Umgebung nur zu gut. Ein solches Umfeld war für mehrere Jahre sein Zuhause gewesen… Und er hatte jede einzelne Sekunde gehasst. Ein Stoß aus Übelkeit durchstach, von seinem Magen ausgehend, sein Herz und seinen Kopf. Erst die Schule und dann das, das Schicksal schien großes Interesse daran zu haben, Christian Reißer seine Traumata ins Gesicht zu drücken. Doch er durfte sich von nichts aufhalten lassen und das würde er auch nicht. Er musste stark sein, für Lilli. Und schließlich hatte er sein Zwischenziel doch erreicht. Dank Rheinholds Informationen befand er sich im Krankenhaus, in dem Maksim DiCato das Licht der Welt erblickt hatte. Auf den kurzen Motivationsstoß folgte jedoch tiefe Mutlosigkeit. Zunächst schien dieser Ort eine brandheiße Spur zu sein, doch je länger er darüber nachdachte, desto mehr stachen ihn hässliche und sadistische Zweifel. Wie viele Informationen könnte ihm Maksims Geburtsstätte schon liefern? Wahrscheinlich hatte man ihn und seine Familie schon längst vergessen und während Christian hier seine Zeit verschwendete, war Maksim dabei, Lilli und jeden anderen Dorfbewohner in winzige Fetzen zu reißen. Er schüttelte den Kopf und durchblätterte die Infobroschüre, die er von einem beeindruckend unwichtig wirkenden Stapel neben dem Eingang genommen hatte. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er den Lageplan des Krankenhauses nach einem Archiv ab. Wenn er Informationen über Maksim finden würde, dann dort. Was genau er sich erhoffte, wusste er selbst nicht. Diese Dämonen, die den Jungen mit dem Sensentattoo begleiteten, mussten schließlich nicht zwangsläufig seit seiner Geburt an seiner Seite sein, aber falls sie es doch waren… Christian vertrieb die Gedanken. Sich Hoffnung einzureden war etwas, dass er sich vor langer, langer Zeit verboten hatte. Nachdem er dem Plan entnahm, dass sich das Archiv im vierten Stock befand, machte er sich daran, die Treppen zu erklimmen. Eigentlich wäre es vernünftiger, den Aufzug zu nehmen, denn das schmuddelige Aussehen des Ermittlers würde nur unnötige Aufmerksamkeit erregen und das konnte er sich auf Gedeih und Verderb nicht leisten. Sollte man die Pistole in seinem Hosenbund entdecken war alles aus. Seit sechs Jahren jedoch, litt Christian Reißer unter Klaustrophobie, was der einzige Grund war, weshalb er sein Haus in den letzten Monaten überhaupt verlassen hatte. Wie das Ticken eines Metronoms klapperten seine Absätze auf dem Marmorboden, während er beharrlich die Treppen eines viel zu zentral liegenden Treppenhauses erklomm. Stufe für Stufe fühlte er, wie sein Herz schwerer und gleichzeitig hoffnungsvoller wurde. Ein seltsames Gefühl. So als könne er die Hoffnung nur im Schmerz finden. Schließlich erreichte er den vierten Stock und somit den Gang, den er suchte. Hier in der Nähe musste sich das Archiv befinden. Das Erste was ihm auffiel war, dass die engen Gänge in sterilem Weiß und der ausgebleichte, grüne Boden eine noch deprimierendere Atmosphäre erzeugten als die Eingangshalle. Er nahm einen tiefen Zug der nach Medizin stinkenden Luft und nahm es mit dem langen Korridor auf. Das hier war nicht der Kreissaal. Irgendetwas sagte Christian, dass Maksims Geburt, sofern sie ihm wirklich brauchbare Informationen liefern würde, nicht unter regulären Entbindungen archiviert worden war. So befand er sich in der Station für schwere Krankheiten. An der Wand neben ihm hing ein Kruzifix. Er bekreuzigte sich flüchtig und faltete für eine Sekunde die Hände, bevor er weiterging. Gelegentlich kam ihm eine Krankenschwester entgegen, die ihn manchmal mit ausdruckslosem Gesicht, manchmal mit einem Lächeln musterte. Der Ex-Detektiv erinnerte sich, irgendwo gehört zu haben, dass Krankenschwestern darauf trainiert wurden, ihre negativen Emotionen zu verbergen um die Patienten nicht zu verunsichern. Das könnte erklären, warum keine von ihnen ihn wie das Stück Abschaum anstarrte, das seinem Selbstbild entsprach. Sein eigentliches Problem mit den Schwestern war jedoch, dass sie ihn sicherlich nicht ohne weiteres ins Archiv lassen würden. Wenn er sich darin umsehen wollte, brauchte er einen Plan. Das Personal ließ sich vielleicht nichts anmerken, aber mit Sicherheit würde sich sein Erscheinungsbild eines ausgemergelten Alkoholikers in ihr Gedächtnis brennen, daher musste es schnell gehen. Christian blieb in Bewegung um von keiner Krankenschwester zweimal gesehen zu werden. Möglichst unauffällig ließ er die Augen im Raum schweifen, ihm war klar, dass er sich durch übermäßiges Umsehen noch verdächtiger machen würde. Nach einiger Zeit hatte er das Archiv entdeckt, welches sich zu seinem großen Glück gegenüber einer Besenkammer befand. Als er sich relativ unbeobachtet fühlte, öffnete er einige Krankenzimmer, spähte hinein und drückte die Tür anschließend geräuschlos ins Schloss zurück. Dies wiederholte er, bis er einen einzelnen, rasselnd atmenden Mann im Spalt zwischen Tür und Angel erspähte. Ihm blieb nichts mehr übrig, als zu hoffen, dass ihn niemand gesehen hatte, als er den Raum betrat und sich ans Bett des Komapatienten stellte. Nur das kalte, mechanische Piepen des Frequenzmessers schien Christians eigenen Herzschlag zu übertönen. Nachdem er eine Weile Zeit gehabt hatte sich zu beruhigen, war ihm fast, als würde sich seine Herzfrequenz der des Mannes im Bett anpassen. ‚Eugen N.‘ stand auf dem Namenschild am Fußende. „Ist nichts Persönliches!“, flüsterte Christian dem Mann im Koma zu. „Glaube mir, ich bin auch nicht stolz drauf!“ Und nach diesen Worten begann er, ein Kabel aus dem Messgerät zu lösen, gerade genug, um einen Wackelkontakt zu Stande zu bringen. Anschließend verließ er so schnell er es wagte das Zimmer und noch während er die Tür hinter sich schloss, hörte er den langen, hohen und durchgehenden Ton, der normalerweise signalisierte, dass ein Patient das Krankenhaus soeben verlassen hatte, ohne das geringste mitzunehmen. Da er bereits wahrnahm, wie sprintende Füße den Boden bearbeiteten, ließ er das unnötige Schleichen sein und rannte. Wie durch ein Wunder kam er ungesehen in der Besenkammer an. Er schloss die Augen. Was jetzt kam hasste er auf den Tod, doch es musste sein. Nach einem letzten Atemzug betrat er die Kammer und schloss die Tür. Es war, als würde der enge, dunkle Raum seine Kehle zuschnüren. Angestrengt lauschte er und versuchte, seinen verkrampften Körper zu ignorieren. Er musste durchhalten, obwohl er am ganzen Körper schwitzte, obwohl sein Herz noch schlimmer raste, als im Krankenzimmer und obwohl er das Gefühl hatte, der Ohnmacht nahe zu sein. Auf dem Gang schienen sämtliche Ärzte und Schwestern der Station zum mutmaßlichen Sterbenden zu eilen. Nach einigen, endlosen Minuten verließ Christian die Besenkammer und sog einen großen Luftzug ein. Ein winziges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Zwar war seine Klaustrophobie bei Weitem nicht so stark, wie manch anderes, dass auf seiner Seele lastete, doch er hatte soeben eine seiner psychischen Störungen besiegt. Für einen unendlich kleinen Moment hatte er das Gefühl, alles schaffen zu können. Seltsamerweise wurde auch die Hoffnung verstärkt, die er in dieses Krankenhaus setzte. Das Archiv stand sperrangelweit offen. Wer auch immer zuvor dort gewesen war, auch er musste zum Patienten gestürmt sein. Christian wusste jedoch, dass es keine Zeit zu verlieren gab. Sie würden den komatösen Mann sicherlich mehrmals gründlich untersuchen, selbst wenn sie von einem technischen Defekt ausgingen, doch wenn sie ihre Routine beendet hatten, musste der Detektiv bereits weg sein. So sah er sich im durch Rollläden verdunkelten Raum um. Es war staubig und stickig, vollgestellt von Aktenschränken. Ideal für eine kleine Recherche. Der schmuddelige Ermittler setzte sich in Bewegung. Mit gespitzten Ohren achtete er auf jedes Geräusch, während er die mit Anfangsbuchstaben verzierten Schubladen inspizierte. Bei ‚D‘ angekommen richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Etiketten mit Jahreszahlen, bis er schließlich das Richtige ausgemacht hatte. „Achtzehn Jahre her…“, sagte er sich selbst und zog am metallischen Griff, worauf ihm eine Unzahl von Akten entgegen fuhr. Wie um einen Läufer zu imitieren, tippte er mit Zeige- und Mittelfinger jedes einzelne Namenschild an… Bis er etwas fand, das sein verkrustetes Herz höher schlagen ließ: ‚DiCato, Maja‘ Das war es! Das musste einfach sein! Das war der Hinweis, der ihn auf den richtigen Weg bringen würde! Jetzt müsste er nur noch diese Akte hier raus schaffen, ohne gesehen zu werden. Zur Not würde er einfach rennen und fliehen. Er war bereit, alles Notwendige zu tun, um… „Hey, Sie! Was haben Sie hier verloren?“, unterbrach eine schrille Stimme seine Gedanken. Eine breitschultrige Krankenschwester mit kurzen, schwarzen Haaren stand im Türrahmen. Offenbar hatten die Ärzte schneller als gedacht eingesehen, dass ihr sterbender Patient Sabotage war. Christian hatte das Gefühl, als würde sein Herz anhalten um über die Situation nachzudenken. Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten stürmte er auf die Frau zu. Er war bereit, sie K.O. zu schlagen wenn es sein musste, doch nichts auf der Welt durfte ihn davon abhalten, Maja DiCatos Akte in die Hände zu bekommen. Die Schwester zeigte sich wenig beeindruckt. In einer so geschickten, wie geschmeidigen Bewegung, die offenbar auf jahrelange Übung zurückzuführen war, stieß sie die Tür zu, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um, anschließend sprang sie zur Seite. Der Ermittler stieß die Füße in den Boden und konnte gerade noch rechtzeitig bremsen um nicht mit der Nase voraus gegen die Tür zu krachen. Blitzschnell wurde sein Handgelenk ergriffen und umklammert. „So, der Herr! Und jetzt verraten Sie mir, was Sie hier wollen! Und versuchen Sie nicht, sich rauszureden! Glauben Sie mir, Sie wollen mich nicht wütend erleben!“, rief die Pflegerin. Überrumpelt und erstaunt von ihrer Kraft suchte Christian nach Worten, doch wann immer er den Mund öffnen wollte, kam ihm der Gedanke, dass ihn jeder normale Mensch für verrückt erklären würde, wenn er seine Geschichte erzählte. „Was haben Sie da? Los, geben Sie die Akte wieder her!“, befahl die Krankenschwester in barschem Tonfall, während sie ihm die Unterlagen aus der Hand riss, ohne eine Rechtfertigung abzuwarten. Der Ex-Detektiv hätte sie auf Mitte vierzig geschätzt, doch als sie das Namenschild auf der Akte las, sah ihr Gesicht um einiges älter aus. Ihr eben noch wütender Ausdruck wandelte sich. Zuerst schockiert, dann ängstlich mit einer Spur Neugier und schließlich wurde ihr Antlitz vollständig ausdruckslos. „Folgen Sie mir!“, flüsterte sie, während sie die Tür wieder aufschloss. Sie verließ den Raum und ließ Christian zurück, welcher stocksteif und mit aufgerissenen Augen dastand. Diese Reaktion war beinahe zu viel des Guten. Nach einigen Sekunden zuckte er jedoch kurz, wie eine gerade erst angeschaltete Maschine. Dann tat er wie ihm geheißen und folgte den Schritten der Krankenschwester. II „Mir war klar, dass es noch nicht vorbei ist“, sagte die Pflegerin und atmete tief durch. Sie hatte Christian in ein leeres Büro geführt, sich hingesetzt und für eine lange Zeit geschwiegen. Der Ermittler suchte ihr Gesicht nach etwaigen Regungen ab. Er hätte sich nicht mehr als die winzigste Zuckung, den flüchtigsten Schatten erhofft, irgendetwas, das auch nur ansatzweise verriet, was sie dachte. Doch es kam nichts, sie starrte ihn ohne jede Emotion an, als wäre ihr Gesicht eine Maske. „Das was nicht vorbei ist?“, fragte er das Naheliegendste. Er ahnte die Antwort bereits, doch machte ihn die Ungewissheit rasend. Er wollte einfach nur ein paar eindeutige Informationen. „Wissen Sie, ich arbeite bereits zwanzig Jahre als Krankenschwester, da erlebt man viel. Und sofern man der falschen Station zugeteilt ist nur wenig Schönes“, setzte sie an. Christian biss sich auf die Zähne, offenbar plante sie, seine Geduld zu strapazieren. Er kämpfte mit aller Macht dagegen an, die Augen zu verdrehen. Hoffentlich erriet sie nicht, was er dachte. „Ich habe in meinem Leben viele Leute kommen und gehen sehen und zwar auf jede erdenkliche Weise. Nicht viele halten diesem Druck stand ohne abzustumpfen, ich zähle mich manchmal selbst nicht dazu…“, nun huschte doch ein trauriger Zug über ihr ausdrucksloses Gesicht. „Aber das ist jetzt nicht der Punkt!“, (Christian war unendlich dankbar, für diese Aussage), „der Punkt ist, dass ich zwar schon so gut wie alles erlebt habe, aber noch nie so etwas wie den Fall ‚Maja DiCato‘!“ Sie kniff kurz die Augen zusammen, während Christian spürte, wie ihm sein vibrierender Magen die Beherrschung raubte. „Was ist damals passiert? Wer weiß alles davon? Hatten oder haben Sie noch Kontakt zu ihr?“ Es gab kein Halten mehr. „Beruhigen Sie sich gefälligst!“, mahnte die Schwester, ohne ihre Belustigung ganz verbergen zu können. „Von denen, die es erlebt haben sind nur noch wenige da“, begann sie ihre Antwort. „Und nein, ich habe keinen Kontakt mehr zu Frau DiCato…“, sie seufzte. Vom temperamentvollen und aufbrausenden Wesen, das sie anfangs gezeigt hatte, war nichts mehr übrig. „Also, was ist passiert?“, wiederholte Christian seine Frage. Die Pflegerin schwieg ihn an. Nachdem sie die Stirn in Falten gelegt und einmal heftig durchgeatmet hatte, begann sie zu erzählen: „Ich hoffe, Ihnen ist bewusst, dass mich jedes Krankenhaus für die Weitergabe von Patientengeheimnissen entlassen würde. Hören Sie mir also gut zu, ich werde es nur einmal sagen! Vor 19 Jahren wurde bei Maja DiCato die Schwangerschaft festgestellt, sie und ihr Mann haben sich natürlich riesig gefreut. Es war wohl tatsächlich sowas wie ein Wunschkind, das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Damals arbeitete ich im Kreissaal und Sie können mir glauben, meine Lebenseinstellung war eine Andere. Jedenfalls stellten wir die ersten vier Monate keine Probleme fest. Ihr Mann Abramo und sie kamen regelmäßig zur Kontrolle und richteten sich fröhlich auf ihr Baby ein. Irgendwann jedoch…“, sie unterbrach um zu seufzen. „Irgendwann wurde der schlimmste Alptraum wahr“, sagte sie, und als sie weitersprach schien sie mit jedem Wort melancholischer zu werden: „Ich weiß es noch wie gestern. Frau DiCato kam ins Krankenhaus und beschwerte sich über Unterleibsschmerzen. Sie… Sie sagte, sie hätte trotz Schwangerschaft eine Regelblutung.“ „G-geht das?“, fragte Christian, verdutzt von maskulinem Unverständnis. „Unter Umständen!“, die Schwester warf ihm einen traurigen Blick zu. „Aber es ist nie ein gutes Zeichen!“, eine bittere Härte ergriff ihren Tonfall als sie fortfuhr. „Rückblickend glaube ich, dass wir sie nur untersuchten, weil wir das Offensichtliche nicht wahrhaben wollten. Aber das Ergebnis war ernüchternd eindeutig“, die Pflegerin verengte die Augen und biss sich auf die Zähne. „Gebärmutterhalskrebs. Ich vergesse nie den Gesichtsausdruck des Arztes, als er die Diagnose stellte. Er machte sich wie wir alle Vorwürfe, es nicht früher erkannt zu haben“, sie verzog das Gesicht ob der schmerzhaften Erinnerung. „Gebärmutterhalskrebs? Während der Schwangerschaft?“, platzte es aus Christian heraus. Ihm fiel auf, dass es einige Gefühle gab, die er in den letzten Stunden zum ersten Mal seit Langem verspürte. Diesmal war es Mitleid. Normalerweise gestand er so gut wie niemandem zu, zu wissen was Schmerz bedeutet, aber das… Das konnte selbst ihn auf eine makabere Weise beeindrucken. Die Pflegerin nickte düster. „Sie können mir glauben, für Maja und Abramo DiCato begann die Hölle. Sie hatte nicht nur jeden Tag stärkere Schmerzen, sondern ihr war klar, dass sie mit jeder Behandlungsmethode ihr ungeborenes Kind gefährden könnte. Und dass es wahrscheinlich für einen von beiden den Tod bedeuten würde. Ihr Mann saß nahezu jede Sekunde bei ihr, aber er war sich bewusst, dass er ihr letztendlich nicht helfen konnte. Und diese Hilflosigkeit kann manchmal ähnlich verheerend sein. Man hat ihm richtig angesehen, wie es ihn von innen her aufgefressen hat. Ich hatte furchtbares Mitleid mit ihr, wissen Sie? So sehr, dass ich mich in diese Station versetzen ließ um sie weiter zu betreuen. Ich war jung und naiv. Aber letztendlich konnte ich auch nicht viel tun. Die Forschung war vor 19 Jahren eben noch nicht so weit wie jetzt. Aus Angst um das Ungeborene, brachen wir jede erdenkliche Behandlung ab, ganz wie Frau DiCato es befürchtet hatte“, ihrem Gesichtsausdruck nach, unterdrückte die Schwester eine Träne. Nun bekam ihre Maske doch Risse. „Sie kämpfte mit allen Mitteln. Sie war bereit jede noch so qualvolle Therapie für ihr Kind auf sich zu nehmen und ich bewunderte sie dafür! Aber letztendlich hat der menschliche Körper Grenzen! Zum Schluss waren ihre Kraftreserven verbraucht und das wusste sie. Die Ärzte, ihr Mann und auch sie selbst fingen ganz langsam an, zu begreifen, dass weder Mutter noch Kind zu retten waren. Sie können mir glauben, ein solches Gefühl treibt jeden Menschen an den Rand des Wahnsinns!“ Für einen Moment schwieg die Krankenschwester und ließ die Geschichte auf Christian wirken. Dieser starrte sie an. Nachdem was er gehört hatte würde er noch verbissener versuchen, Lilli zu retten. Und nicht nur Lilli, sondern auch ihre Familie! Das schwor er sich! Die Erzählerin schluckte ein paarmal. Von ihrer emotionslosen Stimme war nichts mehr übrig und man konnte die nackte Angst dahinter erkennen. Sie nahm einen tiefen, widerwilligen Atemzug und sprach mühsam weiter: „Eines Tages erschien ein Mann im Krankenhaus. Ein Mann den ich noch niemals zuvor gesehen hatte“, sie dämpfte ihre Lautstärke, während sie sprach. „Er ging schnurstracks in Maja DiCatos Zimmer und schickte mich raus. Als diensthabende Krankenschwester habe ich sie gefragt, ob sie diesen Mann kenne, aber sie war ihm davor auch noch nie begegnet. Ich wollte ihn wegschicken und ihn darauf aufmerksam machen, dass sowieso keine Besuchszeit war, aber er…. Er befahl mir regelrecht, sofort zu verschwinden. Dieser Kerl hatte etwas unglaublich einschüchterndes an sich und so verließ ich das Zimmer“, sie zitterte mittlerweile, während sie weitersprach: „Ich stellte mich an die Tür und lauschte. Und was ich hörte, werde ich meiner Lebtage nicht vergessen!“ Christians Augen weiteten sich. Irgendetwas sagte ihm, dass er die gesamte Reise für diese Information unternommen hatte. „Er machte ihr ein Angebot“, keuchte die Schwester, ebenfalls mit geweiteten Augen. „Er sagte, er könne ihren Krebs heilen und dafür sorgen, dass ihr Kind gesund zur Welt komme. Allerdings… Allerdings wollte er eine Gegenleistung dafür…“, sie zögerte weiterzusprechen. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte an jemanden der im Begriff ist, etwas auszusprechen, was er selbst für völlig absurd hält. „Er…“, sie senkte ihre Stimme. „Er verlangte ihre Gebärmutter…!“ Christian spürte einen zuckenden Blitz in seinem Hinterkopf. Was sie soeben gesagt hatte erklärte so Vieles auf so morbide Art. „Wie…?“, setzte er an. „Wie ging es aus?“ „Am nächsten Tag schien sich der Krebs in Luft aufgelöst zu haben“, sie versuchte, ihre Zweifel unter Tonlosigkeit zu verstecken. „Niemand konnte es sich erklären, es schien völlig irrsinnig, noch am Vortag rang sie mit dem Tod. Sie können sich vorstellen, was das für ein Aufruhr war! Sie wurde tagtäglich aufs Gründlichste untersucht und wir verdanken nur dem damaligen Oberarzt, der Respekt vor Maja hatte, dass uns die Presse nicht die Türen einrannte!“ Ihr Gesprächspartner nickte eindringlich. Die Presse kannte er nur zu gut… „Irgendwann fanden wir uns damit ab und das Kind kam gesund zur Welt“, sprach sie unter einem weiteren, ihrer zahlreichen Seufzer. „Der kleine Maksim war so ein hübsches Baby. Aber seine Mutter… auf der einen Seite wirkte sie unendlich glücklich, aber auf der anderen Seite, naja, manchmal sah sie ihn an, als wäre er nicht wirklich ihr Kind…“. Einen Moment lang wirkte sie abwesend und verunsichert. Der Ermittler beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und sah ihr direkt in die Augen: „Dieser Mann, wie sah er aus?“, fragte er und starrte sie durchdringend an. Sie wich seinem Blick aus und begann undeutlich weiterzusprechen: „Es ist fast zwanzig Jahre her und ich habe ihn nur kurz gesehen. Seine Stimme hat sich wesentlich deutlicher eingebrannt. Ich weiß noch, dass er langsam ergrauende Haare und ein Muttermal auf der Schläfe hatte. Mehr kann ich Ihnen leider auch nicht sagen. Tut mir leid.“ „Kein Name, kein Herkunftsort?“, fragte Christian verzweifelt. Die Schwester schüttelte den Kopf und ließ der Stille im Raum die Chance, schwerer zu werden. Wortlos stand der Ex-Detektiv auf. „Ich danke Ihnen trotzdem, Sie haben mir sehr geholfen. Mehr als ich gehofft hatte“, doch bevor er der unsäglichen Krankenhausluft entfliehen konnte, packte ihn die Pflegerin am Arm. „Hören Sie, wenn rauskommt, dass ich diese Information weitergegeben habe, verliere ich meine Anstellung. Ich habe das alles nur aus einem Grund erzählt: Während meiner Arbeit hatte ich mit so ziemlich jeder Art von Menschen zu tun und, eine gute Menschenkenntnis entwickelt. Ich kenne Menschen wie Sie! Verzweifelte Menschen, Menschen die eigentlich schon aufgegeben haben, aber sich noch einmal aufraffen, weil sie wissen, dass sie auf der Welt gebraucht werden. Maja DiCato hat aus ähnlichen Gründen gehandelt. Ich bewundere solche Menschen über alle Maßen.“ Das Wort ‚Danke‘ blieb Christian im Hals stecken. Sein innerstes Bewusstsein weigerte, ein solches Kompliment anzunehmen. „Aber ich bin auch gläubige Katholikin“, sie fuhr unbeirrt fort. „Ich glaube an Gott, an Engel und daran, dass manchmal Wunder passieren. Dass der Herr Majas Krebs geheilt haben soll ist ein tröstlicher Gedanke… Aber das war nicht Gottes Werk… Gott verlangt keine Gegenleistung… Sie verstehen…?“, ängstlich sah sie in die Augen des Detektivs. Für einen Moment lang fühlte er eine seltsame, fast vergessene Wärme zwischen den Rippen. „Ich werde vorsichtig sein!“, versprach er. Worauf sie ihn herzlich anlächelte. „Hinterlassen Sie mir wenigstens Namen und Nummer, falls mir noch etwas einfällt melde ich mich!“, sagte sie worauf der Ermittler nickte und erneut Platz nahm. Sie holte einen Stift und einen Zettel davor, auf dem er so leserlich er konnte seinen Namen schrieb. „Christian Reißer, also?“, stellte die Pflegerin mit hochgezogener Augenbraue fest. Der Angesprochene nickte lächelnd. „Wie ist Ihr Name?“, war die anschließende Gegenfrage. „Sandra! Sandra Bogert!“, die Schwester stand auf und schüttelte ihm voller Elan die Hand. „Ich danke Ihnen Sandra! Möglicherweise haben Sie gerade einige Leben gerettet!“, rief Christian. „Werden Sie mir erzählen, wie alles zusammenhängt, wenn es vorbei ist?“, fragte sie gefasst und doch erwartungsvoll. „Das werde ich! Versprochen!“, entgegnete er und in diesem Moment meinte er es vollkommen ernst. „Aber nun muss ich gehen, ich habe keine Zeit mehr zu verlieren!“ Sie schenkte Christian ein letztes Lächeln und er verließ das Krankenhaus. Sein Herz war ungewohnt leicht. Es schien beiden gut getan zu haben, dieses Gespräch zu führen. Auf der anderen Seite hatte er einige erschreckende Informationen erhalten. Nach Emilys Tod hatte er sich nach einem winzigen Lichtblick gesehnt. Nach einer Stütze, ein Paar starken Armen, mit deren Hilfe er das glühende Blei auf seiner Seele nicht alleine tragen müsste. So hatte sich ein Teil von ihm entschieden, an Gott zu glauben. Es war ihm nie wirklich wichtig vorgekommen, dass er mit der Existenz des Allmächtigen auch von der, der anderen Seite ausgehen musste. Maja DiCato war wortwörtlich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Wenn er so darüber nachdachte, überraschte ihn das kaum, aber wirkte sich das auf seine Situation aus? Sollte er nach St. Agatha zurückfahren und Maksim klarmachen, was seine Mutter für ihn aufgegeben hatte? Sollte er vielleicht einen Priester aufsuchen, und um einen Exorzismus bitten? Nein! Beide Möglichkeiten waren zwecklos. Maksim würde ihm nicht zuhören und um Priester zu mobilisieren, hatte er nicht die Zeit. Die verzweifelte Hoffnung, dass Lilli noch am Leben war, wurde sowieso mit jeder Sekunde schmäler. Christian erschrak über seine eigenen Gedanken. Eine beunruhigende Vorahnung nahm in seinem Hinterkopf Gestalt an. Wie würde sich dieser Pakt auf Lilli auswirken? Schließlich war auch sie Majas Tochter… Was wenn auch sie…? Sein Großhirn weigerte sich, diesen Einfall zu Ende zu denken. Nachdem er die Eingangshallte verlassen hatte, riss sein Verstand jedoch alle Mauern ein, die er zu seinem eigenen Schutz kreiert hatte. Letztendlich war ihm von Anfang an klar gewesen, wie er weiter vorgehen müsste. Eine lauernde Furcht ergriff ihn. Er fühlte ein schwer zu fassendes Unbehagen, dass jedem Christen vertraut ist, der über seinen Glauben nachdenkt. Dem grundgütigen Gott schien herzlich egal zu sein, wie irdische Geschöpfe litten und damit würde Christian nur eine Wahl bleiben, wenn er Lilli und ihre Eltern retten wollte: Er musste die Quelle finden. Möglicherweise einen eigenen Pakt schließen. So verließ er das Krankenhausgelände, bereit, einen völlig abstrakten, substanzlosen, ja lächerlich absurden Gedanken in die Tat umzusetzen, der trotz allem eine Metapher für das menschliche Angstzentrum darstellte: Er würde mit dem Teufel persönlich Kontakt aufnehmen. Nach mittlerweile sehr langer Zeit wieder eine Fortsetzung der Geschichte, wenn auch nur ein Zwischenspiel. Da ich aktuell sehr wenig Freizeit habe, wird der Hauptteil leider auch eine Weile auf sich warten lassen. Allerdings hoffe ich, dass der nächste Teil sämtliche Wartezeiten und bisherige Rückschläge wettmachen wird :) Kategorie:Lang Kategorie:Artikel ohne Bilder Kategorie:Kreaturen
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