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| - Immer wollen sie einem Mut machen. Sie stellen dich vor eine schier unlösbare Aufgabe, mit nichts als einem Schulterklopfen und dem obligatorischen "Du machst das schon!". Helfen wollen sie dir damit, dich ermuntern, durchaus, aber wirklich weiter bringt dich das nicht. Und wenn du unter der Last deiner Herausforderung zusammenzubrechen drohst, dann schauen sie dich nur mitleidig an und sagen zu dir "Du schaffst das!". Sie wollen dir weismachen, dass alles möglich ist. Aber es entspricht nicht der Wahrheit. Jeder Mensch hat seine Grenzen, die er nicht überschreiten darf oder kann, und wenn du diese Grenzen erreicht hast, dann helfen weder aufmunternde Worte, noch Schulterklopfen. Dann musst du dich einfach fallen lassen, aufhören, ausblenden. Ich war in einer solchen Situation, und sie lässt mich nicht los. Lies meinen Bericht und denke, denn eines kann ich dir sagen: Wenn du glaubst das Richtige zu tun, dann tu es und wenn nicht, dann lass es sein, egal ob es das ist was von dir erwartet wird oder nicht. Hör auf Herz und Verstand, denn wenn du dich verbiegst, dann verlierst du alles was dich ausmacht, was du bist. Das weiß ich nun und kann es dir sagen. Du verlierst alles. Krieg verändert Menschen, dass weiß jeder. Er zieht durch das Land und hinterlässt seine Spuren. Auch an mir zog er nicht einfach vorbei, ich erinnere mich noch gut an den Tag, als plötzlich dieser Mann vor dem Haus meiner Eltern stand und meinte, dass ich gebraucht werde. Dass ich meinem Land dienen müsse und dafür belohnt werde. Ich kann mich nicht erinnern, irgendeine Entscheidung getroffen zu haben, es ging einfach alles viel zu schnell. Meine Eltern schienen den Abschied unerwartet gut verkraftet zu haben, vielleicht war es aber auch das Geld, das man ihnen bot, was sie über mich hinweghalf. Ich würde lernen, mutig zu sein, das sagten sie mir. Ich würde etwas bedeuten, etwas wert sein. Eigentlich wollte ich mit dem ganzen militaristischen Kram nichts zu tun haben, aber es kommt eben wie es kommt. Und so kam es, dass ich eines Tages vor den Türen dieses heruntergekommenen Krankenhauses in der brütenden Hitze der Mittagssonne stand und wartete. Staub auf den Fensterscheiben, in den Straßen und in meinen Haaren. Der feine Sand kam einfach überall hin. Verschwommen durch die flimmernde Luft auf der glühenden Straße sah ich, wie mir jemand in der Ferne zuwinkte. Das war mein Signal. Ich drückte die Türen auf und betrat die Eingangshalle des Krankenhauses. Drinnen war es sogar noch schlimmer als draußen, nicht nur heiß sondern auch stickig. Aber davon durfte ich mich nicht beirren lassen, das hier war mein erster Auftrag und ich würde ihn durchziehen. Eigentlich war es ganz simpel haben sie gesagt, ich sollte einfach nur in das Krankenhaus gehen, wo die Verwundeten unter den in dieser Stadt stationierten U.S. Soldaten lagen und mich ein wenig um sie kümmern. An der Rezeption, ein einfacher, grober Holztisch mit Schild daran, sprach ich mit der Empfangsdame. Sie freute sich über meinen Besuch, denn Freiwillige die mithelfen wollten kamen nur selten. Ohne lange zu fragen führte sie mich durch eine Schwungtür in den Saal nebenan. Es war als betrete ich eine andere Welt, eine Welt der Schmerzen, des Geschreis und des Gestanks. Überall standen die Feldbetten auf dem schmutzigen Boden und auf ihnen lagen Menschen, Zivilisten und Soldaten, die meisten von ihnen in blutiger, zerrissener Kleidung, einige schreiend, andere einfach still, die starren Augen auf die Decke gerichtet, gelähmt vor Schmerz. Zwischen den Betten liefen verschwitzte Pfleger umher oder beugten sich über einen der Verwundeten um ihn zu betasten. Blut an den Händen, Blut einfach überall, und Gestank. Fliegen schwirrten über den Köpfen der Menschen oder saßen in Scharen auf ihnen. Ich wusste, dass diese armen Schweine den Tag wohl nicht überleben würden. Die Empfangsdame riss mich aus meinen Gedanken. Sie meinte, ich sollte mich den anderen Sanitätern anschließen und die Verwundeten fragen ob sie etwas bräuchten und ihnen gut zureden. Ihnen Mut machen. Dann ging sie wieder zurück in die Eingangshalle und ließ mich hier allein, mit all dem Schmerz. Langsam begann ich, die Reihen der Menschen abzugehen, immer wieder nach links und rechts blickend. Von denen, die dort lagen, nahm keiner Notiz von mir und auch die Pfleger schenkten mir keinerlei Beachtung. Schließlich kam ich an eines der Betten die an der Wand standen, auf ihm lag ein kräftiger Mann in zerrissener, blutbefleckter Uniform und starrte stoisch vor sich hin. Langsam trat ich an ihn heran. Der Körper war zerkratzt, die Arme übersät mit Schnitten. Sein eines Hosenbein war hochgekrempelt und darunter lag eine offene Wunde. Man konnte den Knochen sehen, ein hellgrauer Stab in einer Grube aus rotem Fleisch. Blutüberströmt, auch der Boden um sein Bett herum war eine einzige Lache. Fliegen hockten auf der Wunde, doch der Mann machte keine Anstalten sie zu verscheuchen. Er stank bestialisch, nicht nur nach Blut. Sicherlich hatte dieser Mensch keine Kraft um überhaupt noch auf die Toilette zu gehen. Mir wurde schlecht und ich stolperte ein paar Schritte zurück. Verdammt, ich musste stark sein. Mich um ihn kümmern. Mein Auftrag, ich musste mich doch beweisen. Ich rief mir die Worte in den Sinn, die sie immer wieder zu mir gesagt hatten. "Du schaffst das!". Vorsichtig trat ich an ihn heran und sah mich um. "Du hättest den Anderen sehen sollen.", die Stimme des Soldaten war schwach und brüchig, er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand. "Sieht ziemlich übel aus, was?" Ich nickte, konnte nicht sprechen. Der Klos in meinem Hals hatte sicherlich die Größe einer Wassermelone und mein Englisch war sowieso nicht das Beste. Er drehte leicht seinen Kopf und fixierte mich mit seinen warmen, braunen Augen. Es kam mir so vor, als könne ich darin das schwache Glimmen seines Lebensfeuers sehen. Er hustete und spuckte blutigen Speichel auf den Boden. Dann sprach er erneut. "Die haben mich heftig erwischt. Ich war Offizier, auf Menschen wie mich haben sie es abgesehen. Verdammte Terrorhunde. Aber ich war nicht wehrlos, oh nein! Hab noch genug von diesen elenden Schwarzvermummten mit ins Grab befördert..." Er wollte weiterreden, wurde aber von heftigen Hustenkrämpfen unterbrochen. Ein dünner, roter Faden lief aus seinem Mund. Ich dachte nach, wie hat er seine Angreifer genannt, Schwarzvermummte? Ich verschwendete hier meine Zeit. Draußen wartete man auf mich, auf mein Zeichen, aber ich musste doch meine Aufgabe noch erledigen. Schnell lief ich an das Fenster neben dem Bett und sah nach draußen. Dann hob ich meine Faust in die Luft. Am anderen Ende der Straße wurde ein Motor gestartet, leise hörte ich das Rumpeln. Die Zeit war knapp, wenn sie kamen und sahen, dass ich gescheitert war, dann würden sie mich nie akzeptieren. Ich drehte mich um, lief schnell zu einem der Tische auf denen das medizinische Werkzeug lag und nahm eines der Skalpelle in die Hand. Dann trat ich wieder an das Bett des Offiziers. Mit zitternder Stimme sagte ich: "Es tut mir Leid, Sir, aber ich muss mich um Sie kümmern! Verzeihen Sie mir." Er lag einfach nur da, bemerkte mich nicht, wahrscheinlich war er wieder ohnmächtig. Es war doch so einfach! Mein ganzer Körper zitterte, ich musste es schaffen! Von draußen hörte ich das Fahrzeug meiner Leute, sie hatten auf mein Signal gewartet, dass sie kommen konnten. Schon hörte ich ihre Rufe. Ich stand im Blut dieses Mannes und sah ihn an. Er hat meine Leute getötet und es selbst zugegeben. Er war ein Monster, wie alle seines Schlages! Ich versuchte wütend zu sein, ihn zu hassen, doch es klappte einfach nicht. Ein leises Stöhnen erklang und er öffnete wieder seine Augen. Sie waren blutunterlaufen und trüb. Schnell jetzt, es musste nun geschehen! Draußen hörte ich einen Knall, kurz darauf flog die Tür auf und einige Männer stürmten herein. Ihre Rufe "Gott ist groß! Gott ist groß!" wurden übertönt vom ängstlichen Geschrei der Pfleger und der Verwundeten. Dann schien die Welt um mich herum zu explodieren, das ohrenbetäubende Rattern ihrer Gewehre, die Schreie der Sterbenden, ich blendete sie aus. Das war alles zu viel. Der Raum war verschwommen und die Zeit schien sich endlos zu dehnen. Ich sah in die Augen des Mannes unter mir, sah seine Angst und seine Hilflosigkeit. Dann schloss ich meine Lieder und hob das Messer. Plötzlich wurde alles ruhig, das Getöse um mich herum schien in weite Ferne gerückt zu sein, dumpf, nur das Pfeifen in meinem Ohren. Das Innere meiner Augenlieder, rot auf schwarz, der kühle Griff des Messers in meiner Hand. Du machst das schon, haben sie immer zu mir gesagt. Ich müsse stark sein, sie würden mich dann akzeptieren. Meine zitternde Hand beruhigte sich als ich ausholte. Ja, sprach ich leise zu mir selbst, ich würde es schaffen.
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