. "Englische Version: The Escape (Asylum-Serie) Wo liegt die Natur des Wahnsinns? In letzter Zeit bin ich dieser Frage schon viel zu tiefgreifend nachgegangen. Ich stehe im Flur und denke an die Sonne, die ich schon seit vielen Tagen nicht mehr gesehen habe. Ich habe die ganze Zeit mit dem Lesen von Akten und Finanzdokumenten verbracht, aber ich sehe nicht, wohin dieses Gewirr aus Strohfirmen und Rechtsfiktionen f\u00FChrt. Die Mehrheitsbeteiligung an dieser Einrichtung l\u00E4sst sich nicht pr\u00E4zise feststellen \u2013 aber das k\u00F6nnte auch nur ein Zeichen der Zeit sein. Ich hab's mir ausgesucht. \u00BBEinen Pager?\u00AB"@de . . . . "Die Flucht (Asylum-Serie)"@de . "Englische Version: The Escape (Asylum-Serie) Wo liegt die Natur des Wahnsinns? In letzter Zeit bin ich dieser Frage schon viel zu tiefgreifend nachgegangen. Ich stehe im Flur und denke an die Sonne, die ich schon seit vielen Tagen nicht mehr gesehen habe. Ich habe die ganze Zeit mit dem Lesen von Akten und Finanzdokumenten verbracht, aber ich sehe nicht, wohin dieses Gewirr aus Strohfirmen und Rechtsfiktionen f\u00FChrt. Die Mehrheitsbeteiligung an dieser Einrichtung l\u00E4sst sich nicht pr\u00E4zise feststellen \u2013 aber das k\u00F6nnte auch nur ein Zeichen der Zeit sein. Wenn ich jetzt rausgehen und die heilenden Strahlen der Sonne genie\u00DFen w\u00FCrde oder auch meine Jacke hier drin lassen w\u00FCrde, um mich von der kalten Winterluft umsp\u00FClen zu lassen, woher w\u00FCrde ich bei meiner R\u00FCckkehr wissen, dass die Erfahrungen, die ich hier drin gemacht habe, real sind? Der einzige Beweis, dass der Rest unseres Lebens existiert, sind \u2013 Erinnerungen. Wenn man aber seinen Erinnerungen nicht trauen kann, in was kann man dann vertrauen? Es scheint mir seltsam relevant zu sein, dass sich das ganze Bild, das man von der Welt hat, auf einige ver\u00E4nderbare Verstandesbehauptungen herunterbrechen l\u00E4sst. Vielleicht ist es das, was diesen Leuten passiert ist. Sie sind auf einer biologischen Ebene nicht grunds\u00E4tzlich kaputt. Sie sind alle da, sie funktionieren, sie denken \u2013 aber durch eine Reihe von Entscheidungen wurde ihre Realit\u00E4t sehr dunkel und schmerzhaft. Au\u00DFer bei einem, eine Geschichte passt nicht so recht. Nachdem ich meine anderen Aufgaben erledigt hatte, marschierte ich gleich zu ihm. Ich benutzte eine professionelle Tonlage, ruhig, aber streng: \u00BBSie haben etwas ausgelassen.\u00AB Er seufzte und sah schweigend zu mir her\u00FCber. Die Verzweiflung in seinen Augen war herzerweichend. \u00BBIch habe Ihre Geschichte in Ihrer Akte gelesen\u00AB, fuhr ich fort und bem\u00FChte mich, Mitgef\u00FChl und Dringlichkeit mitklingen zu lassen: \u00BBIn Ihrer Darstellung fehlt was.\u00AB Seine Augenbraue senkte sich langsam: \u00BBWoher wissen Sie das?\u00AB Ich dachte an das Muster, dem die restlichen Patienten folgen, blo\u00DF er nicht: \u00BBDas ist nicht wichtig. Ich bin hier, weil ich mich darum k\u00FCmmere und ich glaube, etwas Gr\u00F6\u00DFeres als wir beide geht hier vor sich. Ich muss den Rest Ihrer Geschichte h\u00F6ren.\u00AB Sein Gesicht verzog sich; ich dachte erst, er w\u00FCrde l\u00E4cheln, aber dann schluchzte er und Tr\u00E4nen liefen seine Wangen hinunter. \u00BBSie glauben mir? O Gott, bitte sagen Sie, dass Sie mir glauben.\u00AB Ich war mir der Warnungen meines Mentors \u2013 und des Chefarztes \u2013 wegen der Geschichten der Patienten sehr wohl bewusst \u2013 aber ich musste es wissen: \u00BBJa, ich glaube Ihnen.\u00AB Er schluchzte st\u00E4rker und rollte sich in tiefster Erleichterung ein: \u00BBIch sag's Ihnen, ich sag's Ihnen!\u00AB Ich hab gelogen, was den Anfang angeht. Ich bin nicht nur die Stra\u00DFe entlanggelaufen. Was, irgendein Penner bekleckert mich mit Blut und dann kommt der Knocheng\u00E4nger aus dem Nichts? Nein, ich war schuld. Ich hab's mir ausgesucht. Mein Leben hatte schon eine dunkle Wendung genommen. Ich war niemand, von allen ignoriert. Ich war nur irgendein Kerl ohne College-Abschluss, nichts vorzuweisen, keine angesehene Familie und keine Beziehungen. Ich hab mich von der ganzen Welt alleingelassen gef\u00FChlt. Die Leute hatten st\u00E4ndig Angst vor mir, keiner gab mir Arbeit, nur weil ich einen Eintrag im Strafregister hatte \u2013 glauben Sie nicht, dass mir das nicht aufgefallen ist, wie sich die Menschen fester umklammerten, wenn ich nachts an ihnen vorbei lief \u2026 Weil ich s\u00FCchtig nach mittelharten Drogen war, also nicht nach dem Killerzeugs, wissen Sie, hab ich mich oft im Untergrund der Stadt herumgetrieben, der einzige Ort, an dem man mich leiden konnte. Da gibt's Drogen, klar, Brutalit\u00E4t auch und auch sonst alles, was man so haben will \u2013 sogar Orgien, aber da will man nicht dabei sein, glauben Sie mir. Diese Leute \u2013 sie hatten eine Verzweiflung an sich. Sie lag in der Luft und jeder wusste es, aber fast niemanden hat sie anscheinend gest\u00F6rt. Der Knocheng\u00E4nger war ein Ger\u00FCcht, das unter ihnen umging. Es gab einige, die nicht arbeiten und kein normales Leben vort\u00E4uschen mussten. Sie hatten einen Hintermann, wir haben sie gl\u00FCckliche Schweine genannt. Jeder hoffnungslose Au\u00DFenseiter kommt irgendwann zu dem Punkt, an dem das anf\u00E4ngliche Geld, der anf\u00E4ngliche Wille und das anf\u00E4ngliche Leben \u2013 alles weg ist. Ich war an diesem Punkt angelangt und schloss mich dem Knocheng\u00E4nger an. Es ging mir nicht mal um die Drogen, ich war zu der Zeit sogar wesentlich cleaner geworden. Es ging mir um die Macht. Die Leute reagierten auf mich. Leg dich mit mir an, dann stirbst du. Alles, was ich tun muss, ist ein bisschen von diesem speziellen Blut an deine Fingern\u00E4gel oder Z\u00E4hne zu schmieren und mein Hintermann schlitzt dich von innen auf. Er tat das gern, wissen Sie. Er behandelte uns wie Haustiere. Die Bezahlung war auch gro\u00DFartig. Ich habe es zwar gehasst, aufgeschnitten zu werden, wenn er mich rief, aber das war eben Berufsrisiko. Dann wurde es ernster und ich begriff, dass ich eher ein Sklave als ein Haustier war. Einige von den Sachen, zu denen er mich gezwungen hat, waren \u2013 Gott, ich hab noch Albtr\u00E4ume davon \u2013 am Anfang hab ich das gr\u00F6\u00DFere Bild nicht verstanden. Wir sind bis \u00FCber beide Ohren in der Sache dringesteckt, weil wir uns sonst an niemanden wenden konnten. Sobald du eine Vorstrafe hast, sobald du auf der Stra\u00DFe bist, ist es vorbei f\u00FCr dich \u2013 und der Knocheng\u00E4nger zog seinen Vorteil daraus. Er hatte mehr als genug willige Rekruten, um ein Netzwerk oder eine Armee aufzubauen. Es bedurfte vieler getuschelter Unterhaltungen mit den anderen Sklaven, um herauszufinden, dass wir in etwas viel Verst\u00F6renderes eingebunden waren als unsere eigenen Privath\u00F6llen \u2013 und unser Meister war noch nicht mal das Schlimmste daran. Wir waren die guten Jungs, die auf der Seite der Guten gek\u00E4mpft haben, mit allen n\u00F6tigen Mitteln, k\u00F6nnen Sie sich das vorstellen? Das war nur nicht gut f\u00FCr uns selbst, weil wir sowohl f\u00FCr die Gesellschaft als auch f\u00FCr den Knocheng\u00E4nger ersetzbar waren. Wissen Sie, warum ich in diesem Bett liege? Warum ich so deprimiert bin? Denken Sie mal dr\u00FCber nach. Wenn ich Angst davor h\u00E4tte, jeden Moment sterben zu m\u00FCssen, w\u00FCrde ich mein Restleben voll auskosten. Ich w\u00FCrde hier nicht alleine in diesem Raum sitzen \u2013 nein, das genaue Gegenteil! Der Knocheng\u00E4nger ist tot, Mann! Er kommt nicht mehr zur\u00FCck! Dieser Idiot hat ihn umgebracht! Ich hab mir zwar manchmal vorgestellt, wie ich ihn mit behandelten Knochen \u00FCberh\u00E4ufe, sodass er nicht mehr wei\u00DF, wie er da rauskommt, und von den zerspringenden Knochen aufgespie\u00DFt wird \u2026 gro\u00DFe K\u00F6pfe denken auch so, richtig? Aber als ich herausfand, was wirklich vor sich geht, war ich gl\u00FCcklich \u00FCber \u2026 \u00BBWas?\u00AB, unterbrach ich ihn. \u00BBWas geht vor sich?\u00AB \u00BBSie meinen, Sie \u2026\u00AB, er erstarrte und sah mich mit flatternden Augen an. Seine Pupillen wanderten langsam nach links, voller Furcht und Verst\u00E4ndnis. \u00BBIch hab zu viel gesagt, das tut mir Leid.\u00AB Er fuhr damit fort, die Wand anzustarren und ignorierte meine weiteren Versuche, ihn anzusprechen. Am Anfang war ich sauer, weil er mir nicht sagte, was vor sich ging, aber dann dachte ich besser dar\u00FCber nach. F\u00FCr diesen einen Moment hatte ich ihm wirklich geglaubt. Ich hatte seine Geschichte f\u00FCr mich zur Realit\u00E4t werden lassen. Ich setzte meinen eigenen Verstand zu gro\u00DFen Risiken aus. Nein, der Knocheng\u00E4nger konnte nicht real sein \u2013 seine Sucht dagegen war es. Der Untergrund, die Straftaten, alles davon waren der wahre Kern, den ich aus seiner Geschichte mitnehmen konnte. Ein angedeutetes gr\u00F6\u00DFeres Bild, eine Atmosph\u00E4re der Verzweiflung \u2026 \u2026 und schlechte Entscheidungen. Er passte jetzt ins Muster. Ich stand wieder im Flur und starrte die W\u00E4nde an, die eine hoch und die andere runter. Hinter jeder einzelnen T\u00FCr war ein Patient eingeschlossen, der den Weg in Richtung Verzweiflung und Wahnsinn eingeschlagen hatte. Ihre eigenen Bed\u00FCrfnisse, die sie in die Extreme getragen haben, haben sie ruiniert. Ich wusste nicht, was das bedeutete, noch nicht, aber das war mir ein deutliches Warnsignal. Ich ging zum Ende des Flurs, nickte Mabel zu, als ich ihr entgegenkam \u2013 die Drogen von gestern hatten zum Gl\u00FCck keinen Schaden angerichtet \u2013 und trat vor eine T\u00FCr, die ich noch nicht versucht hatte. Ich betrachtete sie durch das quadratische Glasfenster. Mit dem Schreibzeug, das sie im Gegenzug f\u00FCr ihre Gewaltfreiheit bekommen hatte, schrieb sie oft sehr lange Texte. Auch jetzt hatte sie sich in ihre Ecke zur\u00FCckgezogen und war am Schreiben. Sie war eine der Patientinnen, deren Geschichte ich nicht kannte, von denen ich keine Einlassung hatte. Der H\u00F6flichkeit halber klopfte ich. \u00BBJa bitte?\u00AB, rief sie. Sie schrieb weiter, als ich eintrat. \u00BBHi\u00AB, begann ich, \u00BBich bin \u2026\u00AB \u00BBSie kennen das Prozedere\u00AB, unterbrach sie mich und schrieb weiter. Ich z\u00F6gerte: \u00BBK\u00F6nnten Sie vielleicht den Stift weglegen?\u00AB \u00BBIch hab noch niemandem geschadet und ich werde auch nicht damit anfangen.\u00AB Ich akzeptierte ihre Aussage, hatte aber immer noch Bedenken, als ich mich niederkniete. Sie hob beide H\u00E4nde und tastete erst meine Schl\u00E4fen und dann meinen Kopf ab. \u00BBTut mir Leid\u00AB, schnaufte sie etwas entt\u00E4uscht, \u00BBmit Ihnen kann ich nicht reden.\u00AB \u00BBSind Sie sicher? Ich will helfen. Ich glaube, hier ist etwas im Busch.\u00AB Sie antwortete nicht, sondern kritzelte weiter. \u00BBKann ich wenigstens sehen, was Sie da schreiben?\u00AB Sie ignorierte mich. Ich hob die Bl\u00E4tter hoch und sah mir einige davon an. Das waren keine Kritzeleien, sondern ein Bewusstseinsstrom in sorgf\u00E4ltig ge\u00FCbter Schrift \u2013 mit einigen merkw\u00FCrdigen Fehlern. Ich winkte direkt vor ihrem Gesicht, aber sie reagierte immer noch nicht. Mein Unterkiefer klappte herunter: \u00BBSind Sie \u2013 blind?\u00AB Sie sog den Atem scharf ein, gab aber trotzdem keine Antwort. \u00BBGut, ignorieren Sie mich\u00AB, sagte ich, \u00BBAber sagen Sie mir wenigstens, warum Sie das alles schreiben, wenn Sie es schon nicht lesen k\u00F6nnen. Was bezwecken Sie damit?\u00AB Sie sagte es mit einem Wort: \u00BB\u00DCbung.\u00AB Ihre Antwort war einfach, aber aufschlussreich. Ich lie\u00DF sie in Ruhe und machte mir Gedanken \u00FCber ihre Hintergrundgeschichte. Wenn sie schreiben konnte und es immer noch \u00FCbte, musste das hei\u00DFen, dass sie fr\u00FCher sehen konnte \u2013 sie war nicht immer blind gewesen. Was sagte mir das? Ist sie auch irgendwie von einem normalen M\u00E4dchen zu einer ruhigen, geblendeten Patientin geworden, die mit niemandem redete, der ihr unerkl\u00E4rliches Ritual nicht bestehen w\u00FCrde? Zu diesem Moment schien es reichlich unfair, dass das Leben derma\u00DFen entgleisen konnte. Alle diese Leute \u2013 sie waren mehr oder weniger normal und f\u00E4llten genug schlechte Entscheidungen, um hier zu landen. Es gab noch einen anderen blinden Patienten ohne Hintergrundgeschichte. Seltsamerweise hatte er zwar mal eine, aber seine Akte wurde entweder zerst\u00F6rt oder ging verloren. Ich passierte einige T\u00FCren, die in den hintersten Fl\u00FCgel f\u00FChrten. Sie hielten ihn ganz am Ende des Geb\u00E4udes. Ich sp\u00E4hte zu ihm hinein. Er hatte sich vor langer Zeit seine Augen mit einem Stift ausgestochen. Jetzt sa\u00DF er mit geschlossenen Augen in der hinteren linken Ecke seiner Zelle, aber seine Haltung deutete darauf hin, dass er wach war. Ich konnte mir seine Langeweile nicht vorstellen \u2013 er wollte nichts Elektronisches. Ein Fernseher oder ein Radio h\u00E4tte ihm seine Dunkelheit und Abgeschiedenheit ertr\u00E4glicher gemacht, aber er wurde richtig gewaltt\u00E4tig, wenn irgendein Ger\u00E4t in der N\u00E4he war. Ich k\u00F6nnte es ehrlich gesagt nicht ertragen, tagein, tagaus da zu sitzen und nachzudenken, gefangen in meinem eigenen Kopf. Ich sah etwas Winziges, Wei\u00DFes unter seinem Bein hervorschauen. Mit einer pl\u00F6tzlichen Vermutung rannte ich durch die Flure und rief nach Mabel. Sie hielt an und drehte sich um: \u00BBDanke f\u00FCr Gestern. Mein Mann w\u00E4re verloren, wenn mir etwas zugesto\u00DFen w\u00E4re. Dieser alte Tattergreis.\u00AB Sie l\u00E4chelte. \u00BBKein Thema\u00AB, h\u00E4tte ich fast gesagt, aber dann fiel mir ein, wie der Mann ohne Glieder und ich dasselbe zu Claire gesagt hatten. Diese Worte hatten jetzt einen \u00FCblen Beigeschmack f\u00FCr mich. \u00BB\u00C4hm \u2026 keine Ursache. Mabel, wei\u00DFt du, ob irgendwelche Krankenschwestern zwischen den Patienten Zettel weitergeben?\u00AB \u00BBWie geht's deiner Hand?\u00AB, fragte sie pl\u00F6tzlich nerv\u00F6s. Ich betrachtete den Verband. \u00BBGut. Aber zur\u00FCck zu den Zetteln.\u00AB Mit einem ver\u00E4rgerten Gesichtsausdruck begann Mabel pl\u00F6tzlich zu donnern: \u00BBSie m\u00F6gen es anscheinend, sich zu schreiben! Er sa\u00DF nur da, allein! Er hat mir Leid getan! Ich hab nicht B\u00F6ses tun wollen!\u00AB \u00BBSchon gut, schon gut\u00AB, beruhigte ich sie, \u00BBich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Wei\u00DFt du zuf\u00E4llig, was sie sich schreiben?\u00AB Sie trug die paar Details zusammen, die sie gelesen hatte, nur zur Kontrolle \u2013 sie wollte keine Morddrohungen oder andere B\u00F6sartigkeiten verbreiten, sagte sie \u2013 und pl\u00F6tzlich verstand ich. Ich rannte zur\u00FCck zum Ende des \u00E4u\u00DFeren Fl\u00FCgels. \u00BBIch kann Sie h\u00F6ren\u00AB, rief er durch die T\u00FCr. Mit finsterem Blick beobachtete ich ihn dabei, wie er heimlich etwas rutschte, um die Zettel zu verbergen, auf denen er sa\u00DF. Ich ging nach einem Moment hinein und lie\u00DF ihn denken, ich w\u00FCsste von nichts. Ich fragte mich, wie er die Zettel lesen konnte \u2013 bis ich begriff, dass er m\u00F6glicherweise die Spuren des Stifts auf dem Papier ertasten konnte, so wie eine Gravur; das war interessant. Ich stellte mich halb in die T\u00FCr, um ihm seinen Freiraum zu lassen. Obwohl er blind war, versuchte er, in meine Richtung zu sehen: \u00BBSie sind nicht wie die anderen, wissen Sie?\u00AB \u00BBWas meinen Sie damit?\u00AB Seine Miene verfinsterte sich, dann l\u00E4chelte er schwach. \u00BBSie laufen nicht wie sie.\u00AB Er hatte recht. Ich ging schnell, mit Energie und Unruhe. Der Rest des Personals war eher gem\u00FCtlich unterwegs \u2013 es war f\u00FCr sie ja nur eine Arbeit. F\u00FCr mich war es mehr als das geworden. \u00BBHaben Sie Lust, mir Ihre Geschichte zu erz\u00E4hlen?\u00AB, fragte ich, als ich im Schneidersitz neben ihm sa\u00DF. Sein L\u00E4cheln verzog sich zu einem h\u00F6hnischen Grinsen: \u00BBDas ist sinnlos.\u00AB \u00BBErz\u00E4hlen Sie sie mir trotzdem.\u00AB \u00BBHaben Sie ein Handy?\u00AB, fragte er. Ich sch\u00FCttelte meinen Kopf, aber dann fiel mir wieder ein, dass er das nicht sehen konnte. \u00BBNein, es k\u00F6nnte medizinisches Ger\u00E4t st\u00F6ren.\u00AB \u00BBEinen Pager?\u00AB Ich sah auf meinen G\u00FCrtel. \u00BBNein\u00AB, log ich. \u00BBGut, gut\u00AB, gr\u00FCbelte er laut. \u00BBDie letzte Zeit Kopfschmerzen gehabt, mein Freund?\u00AB Ich blinzelte. Die hatte ich tats\u00E4chlich. Ich hatte wenig geschlafen und wenn ich schlief, dann schlecht. Der Bereitschaftsraum war nicht gerade zum Schlafen geeignet und seit Beginn meiner Untersuchungen war er Zentrale meiner \u2013 Exkursionen. Ich hatte die Kopfschmerzen auf meine M\u00FCdigkeit geschoben und ich schluckte eine zunehmende Anzahl von Schmerzmitteln \u2026 \u00BBNein, habe ich nicht\u00AB, log ich. \u00BBOh\u00AB. Er schien ein wenig entt\u00E4uscht. Ich hatte herausgefunden, dass paranoide Schizophreniker wie er Spa\u00DF daran hatten, Kleinigkeiten zu erraten, weil das darauf hindeutete, dass sie gr\u00F6\u00DFeres Wissen besitzen mochten \u2013 und falsch zu liegen, das mochte er nicht. \u00BBNa sch\u00F6n\u00AB, sagte er nach einem Moment: \u00BBIch hab sonst nichts Besseres zu tun. Werden Sie mich dann in Ruhe lassen?\u00AB \u00BBJa.\u00AB \u00BBGut, aber es wird Ihnen nicht gefallen, was Sie h\u00F6ren.\u00AB \u00BBJa, ich hab ohnehin das Gef\u00FChl, dass hier etwas vor sich geht und ich mag das jetzt schon nicht.\u00AB Er schien daraufhin munter zu werden. \u00BBWirklich \u2026\u00AB Es war ein Sonntag. Ich kann mich sehr genau dran erinnern. Ich \u2026 Ich war noch nicht damit fertig, die Ereignisse des Tages aufzuschreiben, als pl\u00F6tzlich etwas passierte. Schw\u00E4rze h\u00FCllte mich ein wie eine Decke, als ich im Bereitschaftsraum sa\u00DF und die Geschichte abtippte, die er mir erz\u00E4hlt hatte. Im Licht meines Laptop-Bildschirms hob ich den Telefonh\u00F6rer ab \u2013 kein W\u00E4hlton. Das durchgehende Wummern der Bel\u00FCftungsanlage war verstummt und durch t\u00F6dliche Stille ersetzt worden. Ich schlich zur T\u00FCr und sp\u00E4hte in den Flur. Dunkelheit waberte zwischen den rotierenden roten Notleuchten, die in langen Abst\u00E4nden montiert waren. Am ganz anderen Ende des Flurs sah ich im blinkenden Rot etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren lie\u00DF \u2013 die T\u00FCr zu einem Krankenzimmer \u00F6ffnete sich langsam und sanft, als ob die Person dahinter nicht glauben konnte, dass sie entriegelt war. Ich konnte es auch nicht glauben. Ich hatte nur mit den gef\u00FCgigsten Patienten gesprochen, aber viele von ihnen waren extrem gef\u00E4hrlich. W\u00E4hrend ich meinen pl\u00F6tzlich st\u00E4rker werdenden Kopfschmerz niederk\u00E4mpfte, blinzelte ich immer wieder und \u00FCberlegte fieberhaft, wer das war, der da gerade entkam. Seine Silhouette wechselte zwischen Schwarz und Rot, als er sich vorw\u00E4rts bewegte und den Flur absuchte. Er konnte mich nicht sehen, so wie ich mich in die Dunkelheit dr\u00E4ngte, aber ich konnte ihn sehen. Ich kannte ihn, er war nicht allzu gef\u00E4hrlich. Neben ihm \u00F6ffnete sich eine T\u00FCr und dann eine weitere. Es schien mir als ob der Stromausfall kein Zufall war \u2013 und jemand die T\u00FCren aufgeschlossen hatte. Einer nach dem anderen bewegten sie sich zwischen wechselndem Schwarz und Scharlachrot und entlie\u00DFen ihre pers\u00F6nliche Note des Wahnsinns in die Flure. Ich konnte Murmeln h\u00F6ren, Schreien, Suche nach Waffen und Suche nach \u2013 dem Personal! Ich \u00FCberlegte kurz, die T\u00FCr zu versperren und mich zu verstecken, aber sie w\u00FCrden mit Sicherheit den Bereitschaftsraum durchsuchen. Ich konnte hier nicht bleiben. Mit klopfendem Herzen lie\u00DF ich meinen wei\u00DFen Kittel fallen und schl\u00FCpfte in die Dunkelheit zwischen zwei rotierenden Notleuchten. Konnten sie gegen das Rot meinen Umriss sehen? Ich sah sie herumwandern wie neugierige Tiere und sich in den Flur verteilen. Ich dr\u00FCckte mich an die Wand und einige schlichen zuckend und Obsz\u00F6nit\u00E4ten murmelnd an mir vorbei. Mein Kopfschmerz verst\u00E4rkte sich f\u00FCr einen Moment zu einem glei\u00DFenden Stich, ich h\u00E4tte fast vor Schmerz aufgest\u00F6hnt, aber ich hielt mir meinen Mund zu und zwang meinen K\u00F6rper, still zu sein. Er war nur sechs Meter entfernt \u2013 ich stolperte zum Seitenausgang des Geb\u00E4udes und hatte vor zu fl\u00FCchten. Es gab nichts, das ich tun konnte, au\u00DFer zu verschwinden und jemanden anzurufen. Die T\u00FCr war versperrt. Sollte sie das? Verdammt, verdammt, ich k\u00E4mpfte gegen meinen dr\u00F6hnenden Kopfschmerz und das starke Klopfen meines mit Adrenalin vollgepumpten Herzens an. Ich hatte sehr wenig Platz zum Man\u00F6vrieren. Patienten bewegten sich innerhalb von Zentimetern in der Dunkelheit an mir vorbei; einer hielt unter einer Notleuchte an, sein K\u00F6rper erstrahlte in der Farbe des Blutes \u2013 und jemand anderes erstach ihn, schwarze Fl\u00FCssigkeit spritzte unter seinem Schl\u00FCsselbein heraus. Er schrie und ich konnte h\u00F6ren, wie sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf meinen Bereich richtete. Das Ger\u00E4usch von fallendem Fleisch kam, zusammen mit fortw\u00E4hrendem Schreien, und etwas Matschiges rutschte \u00FCber den Boden. Es prallte mit einem platschenden Ger\u00E4usch gegen meinen Schuh. Der gro\u00DFe Patient, der den gr\u00E4sslichen Messerstich ausgef\u00FChrt hatte, sp\u00E4hte in meiner Richtung in die Dunkelheit. Reflexartig duckte ich mich in eins der Krankenzimmer und schloss die T\u00FCr sanft hinter mir. \u00BBBitte tu mir nicht weh\u00AB, wimmerte ein M\u00E4dchen aus der Ecke. \u00BBDas werde ich nicht\u00BB, fl\u00FCsterte ich erleichtert zur\u00FCck, \u00BBich bin vom Personal.\u00AB \u00BBO Gott, was ist hier los?\u00AB, schnaufte sie. Das bisschen Licht, das unter der T\u00FCr durchschien, beleuchtete sie gerade genug, dass ich sie aus den Augenwinkeln heraus sehen konnte. In dem roten Licht sah sie recht ungesund und ausgemergelt aus, Ich erkannte sie sofort. \u00BBWarten Sie hier\u00AB, sagte ich nach einem spontanen Einfall. Berstend von Adrenalin steckte ich meinen Kopf aus der T\u00FCr, sah in beide Richtungen und huschte ans andere Ende des Flurs. Dort schnappte ich mir ein Tablett mit Essen und flitzte zur\u00FCck. Ich h\u00F6rte einen ver\u00E4rgerten Schrei, aber ich konnte nicht sagen, ob mich jemand gesehen hatte. \u00BBEssen Sie das\u00AB, befahl ich. Sie wich ein paar Zentimeter zur\u00FCck: \u00BBNein!\u00AB \u00BBVersuchen Sie's einfach\u00AB, flehte ich fl\u00FCsternd, \u00BBich helfe uns, das verspreche ich.\u00AB Zitternd nahm sie ein Kl\u00FCmpchen G\u00F6tterspeise. Sie lie\u00DF es gleich wieder fallen und machte einen angeekelten Laut. Es fiel in das Licht, das unter der T\u00FCr durchschien und ich konnte einen dunklen Brocken darin sehen. \u00BBNoch mal\u00AB, sagte ich. Sie hob einen halb gegessenen Apfel hoch und lie\u00DF ihn fast heulend wieder fallen. Ich hielt ihn in das weiche Licht und sah eine abgeschnittene Sehne vom Kerngeh\u00E4use baumeln. \u00BBNoch mal\u00AB, befahl ich. Weinend hob sie die \u00DCberreste eines Sandwiches hoch und lie\u00DF es wieder fallen. Ich nahm das Brot auf. \u00BBJa!\u00AB Ich nahm unsere Entdeckung, kratzte dranh\u00E4ngendes Gewebe ab und brach sie entzwei. Sie gab eine Art schluchzendes Lachen von sich. Im knappen roten Licht hielt ich zwei fingerlange Knochenh\u00E4lften in die H\u00F6he, beide scharf gezackt und mit Knorpel \u00FCberzogen. Sie hielt sich an meinem Arm fest, um mich in der Dunkelheit nicht zu verlieren, und wir schlichen wieder zum Seitenausgang. Derweil dr\u00F6hnten die Flure von schmerzerf\u00FCllten und freudigen Schreien. \u00BBKomm schon, komm schon\u00AB, fl\u00FCsterte ich, als ich versuchte, mit den beiden Knochenfragmenten das Schloss zu knacken. Ich wusste, dass das Geb\u00E4ude schlecht finanziert und entsprechend sch\u00E4big war und ich baute darauf, dass dieses Schloss genauso minderwertig \u2013 geschafft, es klickte! Etwas schlich sich von hinten an. Sie schrie und rannte zur\u00FCck in ihr Zimmer, w\u00E4hrend ich den wild dreinblickenden Mann von mir wegschob. Wir rauften. Er hatte eine Waffe und ich dachte schon, ich w\u00FCrde sterben, bis mich rotes Licht anleuchtete und er meinen eigenen wilden Blick sah. Ich bin mir sicher, dass eine Woche schlechten Schlafs und mein pochender Kopfschmerz zu meinem verbrauchten Anblick beigetragen haben, jedenfalls schnaufte er ein \u00BBoh\u00AB und begann zu grinsen. \u00BBDachte, du geh\u00F6rst zu ihnen. Komm mit, machen wir, dass wir hier rauskommen, Bruder.\u00AB \u00DCberrascht stand ich auf und drehte mich zum Seitenausgang \u2013 jemand stellte sich in den Weg und warf sie zu. \u00BBWas zur H\u00F6lle tun Sie da?\u00AB, fragte der Chefarzt nachdr\u00FCcklich. Ich blickte mich um und sah saubere, leere Flure, die in hartem Wei\u00DF beleuchtet wurden. Mabel hantierte an einem Schwestern-St\u00FCtzpunkt mit Bl\u00E4ttern. Vor Sekunden sah ich noch alles leer und in rotierendem rotem Licht, gef\u00FCllt mit gef\u00E4hrlichen Gestalten, die in diese Richtung wanderten und dass \u2026 \u00BBIch habe eine Geschichte eines Patienten nachvollzogen\u00AB, log ich schnell. \u00BBDieses \u2013 blinde M\u00E4dchen, das schreibt, hat eine Geschichte \u00FCber einen Ausbruchsversuch geschrieben. Ich hab nachgepr\u00FCft, ob das m\u00F6glich ist. Sieht so aus, als ob dieses T\u00FCrschloss wirklich kaputt w\u00E4re. Ein echter Gl\u00FCckstreffer, was?\u00AB Er sah f\u00FCr einige lange Sekunden mit einem harten und unlesbaren Blick an mir hoch und runter. \u00BBDas wird wohl so sein, aber Sie sehen aus wie ein Trottel.\u00AB Dann betrachtete er die Seitent\u00FCr: \u00BBIch geb' der Verwaltung Bescheid, damit das Schloss ausgetauscht wird. Netter Fang \u2013 nehmen Sie sich einen Tag frei, sie sehen furchtbar aus.\u00AB Ich nickte und l\u00E4chelte, als er sich entfernte. Ich beobachtete ihn, wie er mit Mabel redete und dann um die Ecke bog. Merkw\u00FCrdigerweise konnte ich immer noch entfernte Schreie h\u00F6ren, die nacheinander abgeschnitten wurden, als ob sich diese Illusion Zeit lassen w\u00FCrde, aus meinem Kopf zu verschwinden. Was zur H\u00F6lle ist gerade passiert? Hatte mir meine Ersch\u00F6pfung gerade einen Wachtraum beschert? Oder hatte jemand Angst vor meinen Entdeckungen und mir etwas in die Schmerzmittel gegeben? Verbl\u00FCfft ging ich zur\u00FCck in den Bereitschaftsraum. Mein Kittel lag auf dem Boden, das Laptop stand friedlich auf dem Tisch. Verlor ich gerade meinen Verstand? Ich bemerkte, dass ich jetzt in das gleiche Muster wie meine Patienten passte. Ich steckte zwar noch nicht so tief drin wie sie, aber ich arbeitete daran. Der einzige Unterschied schien zu sein, dass ich Beweise hatte. Irgendetwas Schreckliches ging wirklich vor sich \u2013 oder war das wie sich alle gef\u00FChlt haben? Ich halte es f\u00FCr keine kleine Ironie, dass dieser f\u00FCnfte Bericht mein eigener ist. Ich habe allerdings noch einen Vorteil. Ich bin mir des Musters bewusst und habe die Patientengeschichten, die mir weiterhelfen. Wenn dieser Moment kommt, dieser eine Schritt in den Wahnsinn hinein, den sie alle getan hatten \u2013 ich werde ihn nicht tun. Ich verspreche es mir selbst. Man kann das gr\u00F6\u00DFere Bild nicht objektiv betrachten und wahnsinnig werden, glaube ich. Die beiden schlie\u00DFen sich aus. Aber ich werde noch nicht aufh\u00F6ren, nicht jetzt. Die letzte Geschichte, die ich nicht komplett abschreiben und noch nicht einmal vollst\u00E4ndig verarbeiten konnte \u2013 sie ist verst\u00F6rend. Sie passt. Ich muss dar\u00FCber nachdenken. Ich glaube, ich bin kurz davor, die Triebkraft hinter diesen Mustern zu erkennen \u2013 obwohl ich selbst noch nicht wei\u00DF, ob ich das will. Ich machte eine Pause, um den Kopf frei zu kriegen. W\u00E4hrend ich durch die Flure spazierte und in meinen offensichtlich korrupten Erinnerungen nach Hinweisen suchte, was in meiner Halluzinationsphase wirklich passiert ist, sprangen mir zwei Fakten ins Gesicht. Meine Kopfschmerzen waren weg und mit ihnen dieses ausgemergelte M\u00E4dchen \u2026 Von Matt Dymerski \u2190 Die Kumpelzone (Asylum-Serie) | Die Wahrheit (Asylum-Serie) \u2192 Kategorie:\u00DCbersetzung Kategorie:Mittellang Kategorie:Geisteskrankheit Kategorie:Tagebuch Kategorie:Artikel ohne Bilder"@de . . .