"Als Claire unsere Tochter vor f\u00FCnf Jahren zur Welt brachte, waren wir die gl\u00FCcklichsten Menschen der Welt. Aber sind das nicht alle Eltern, die ihr neugeborenes Baby zum ersten Mal im Arm halten? Ein Blick aus ihren gro\u00DFen Augen und ich war sofort verzaubert. Endorphingeschw\u00E4ngert kehrten wir mit unserem kleinen Engel nach Hause zur\u00FCck. Und ein Engel war sie tats\u00E4chlich. Viktoria war ein sehr fr\u00F6hliches und ruhiges Baby, sie begann schon fr\u00FCh durchzuschlafen und war allgemein sehr pflegeleicht. Bis sie \u00E4lter wurde. Nat\u00FCrlich ist es normal, wenn Kinder irgendwann anfangen, ihren eigenen Kopf zu haben. Aber dass es so schlimm werden w\u00FCrde, h\u00E4tten wir vorher niemals gedacht. Aus unserem wunderbaren, kleinen Schatz war ein richtiger Teufel geworden."@de . . . . "Gute-Nacht-H\u00E4schen"@de . "Als Claire unsere Tochter vor f\u00FCnf Jahren zur Welt brachte, waren wir die gl\u00FCcklichsten Menschen der Welt. Aber sind das nicht alle Eltern, die ihr neugeborenes Baby zum ersten Mal im Arm halten? Ein Blick aus ihren gro\u00DFen Augen und ich war sofort verzaubert. Endorphingeschw\u00E4ngert kehrten wir mit unserem kleinen Engel nach Hause zur\u00FCck. Und ein Engel war sie tats\u00E4chlich. Viktoria war ein sehr fr\u00F6hliches und ruhiges Baby, sie begann schon fr\u00FCh durchzuschlafen und war allgemein sehr pflegeleicht. Bis sie \u00E4lter wurde. Nat\u00FCrlich ist es normal, wenn Kinder irgendwann anfangen, ihren eigenen Kopf zu haben. Aber dass es so schlimm werden w\u00FCrde, h\u00E4tten wir vorher niemals gedacht. Aus unserem wunderbaren, kleinen Schatz war ein richtiger Teufel geworden. Wie alle kleinen Kinder hielt Vicky rein gar nichts davon ins Bett zu gehen. Und praktisch jeden Abend brach in unserer Wohnung ein lautstarker Kleinkrieg um das Thema Schlafengehen aus. Stichwort: Trotzphase. Viktoria schaffte es fast t\u00E4glich bis 22 Uhr oder l\u00E4nger wach zu bleiben. Zwar war sie total kaputt, aber lieber heulend und am Ende aller Kr\u00E4fte durch das Haus rennen, als nachgeben und einfach schlafen. Unsere Nerven lagen blank, aber uns von einem drei Jahre jungen Diktator rumkommandieren lassen, wollten wir auch nicht. Also entschieden wir uns f\u00FCr eine Schein-Sieg-Taktik, wie Claire es nannte. Bevor Viktoria ins Bett sollte, durfte sie ein kleines Bild ausmalen. Weder Claire noch ich waren begnadete Zeichner. Darum suchte sie im Internet nach Referenzen. Meine Frau fand auch schnell das Bild eines s\u00FC\u00DFen H\u00E4schens \u2013 niedlich, aber selbst f\u00FCr jemanden mit zwei linken H\u00E4nden leicht genug zu malen. So hielt Gute-Nacht-H\u00E4schen bei uns Einzug. Jeden Abend zeichnete Claire ein anderes Gute-Nacht-H\u00E4schen und erz\u00E4hlte Vicky eine kurze Geschichte dazu, w\u00E4hrend diese es ausmalte. Mal war es Gute-Nacht-H\u00E4schen mit einer Eist\u00FCte, dann unter einem Baum, mit einer Blume in der Hand oder einem Schmetterling \u00FCber dem Kopf. Meine Frau sagte dann immer: \u201EWenn Gute-Nacht-H\u00E4schen fertig ist, ist aber auch Schluss. Dann geht es ins Bettchen.\u201C So ging es eine ganze Weile und zu unserer \u00DCberraschung funktionierte das Ganze ohne Probleme. Vicky freute sich ma\u00DFlos \u00FCber ihre Geschichte und malte mit groben Strichen ihr Bild aus. Schon bald kam sie abends von selbst mit ihrem Malblock gelaufen und fragte nach ihrem H\u00E4schen. Es war einfach zu niedlich. Etwa einen Monat sp\u00E4ter, fing sich unsere Kleine eine Erk\u00E4ltung ein. Schon am fr\u00FChen Morgen war sie schlapp und ungewohnt ruhig. Fast den ganzen Tag lag sie auf der Couch und d\u00E4mmerte entweder vor sich hin oder bl\u00E4tterte gelangweilt in ihren Bilderb\u00FCchern, w\u00E4hrend wir ihr abwechselnd \u00FCber den Kopf streichelten. Schlie\u00DFlich brachte ich Viktoria besorgt ins Bett. \u201ETom, mach dir nicht zu viele Gedanken. Kleine Kinder sind viel z\u00E4her als du denkst\u201C, versuchte Claire mich abzulenken. Ich versuchte mich zu beruhigen, immerhin hatte sie mehr Erfahrung, aber trotzdem konnte ich nicht so einfach zur Ruhe kommen. Den Rest des Abends verbrachten wir mit Fernsehen, einer T\u00FCte Chips und dem Schwelgen in Erinnerungen. \u201EWei\u00DFt du noch, wie Vicky damals die Spinne im Wandschrank gefunden hatte und deiner Mutter schenken wollte?\u201C Claire kicherte: \u201EHaha, stimmt. Sie wollte uns wochenlang nicht mehr besuchen. Oder wie niedlich sie immer beim Kochen helfen wollte, bis sie dann einmal in eine Zwiebel gebissen hat, wie in einen Apfel?\u201C Ja\u2026 mit Kindern wird einem nie langweilig. Besonders mit so kleinen und aufgeweckten. Doch trotz allen Scherzen brach ich mehr als einmal zur Toilette auf, nur um dann lauschend vor Vickys angelehnter T\u00FCr zu stehen. Wahrscheinlich hatte meine Frau Recht, ich machte mir viel zu viele Sorgen. Claire schaltete den Fernseher aus, da wir ohnehin nicht mehr zuschauten und fing an aufzur\u00E4umen. Nachdenklich drehte sie einen Malstift in den H\u00E4nden, den sie unter der Couch gefunden hatte: \u201EMeinst du, ich soll f\u00FCr morgen ein Gute-Nacht-H\u00E4schen malen? Ich hab mich schon so daran gew\u00F6hnt. Es ist ganz komisch, keines zu machen.\u201C \u201EEs ist doch schon sp\u00E4t und schaut sie so gerne dabei zu.\u201C Au\u00DFerdem war Claire ungenie\u00DFbar, wenn sie zu wenig Schlaf gehabt hatte. Schlie\u00DFlich gingen wir kurz nach Mitternacht zu Bett. Am n\u00E4chsten Morgen schien es Viktoria schon viel besser zu gehen. Durch die nur halb geschlossenen Vorh\u00E4nge, drangen bereits die ersten Sonnenstrahlen. Sie hatte also offenbar die ganze Nacht durchgeschlafen. Ich h\u00F6rte die Bettdecke in ihrem Zimmer rascheln und wie die kleinen F\u00FC\u00DFchen leise \u00FCber das Parkett tapsten. Behaglich streckte ich mich unter der warmen Decke und wartete darauf, dass unser M\u00E4uschen um die Ecke kam, um noch ein bisschen zu kuscheln. \u201EHeute Mami kuscheln\u201C, t\u00F6nte ihre Stimme von der Seite meiner Frau und Vicky machte Anstalten ins Bett zu klettern. \u201EMama hat Bett angemalt!\u201C, emp\u00F6rt zog sie an der Decke, \u00FCber die mehrere bunte Striche verliefen. Eindeutig Spuren des Stiftes, den sie gestern noch aufr\u00E4umen wollte. Wahrscheinlich hatte sie ihn im Tran eingesteckt. Nicht nur, dass sie ihre Decke versaut hatte, jetzt lie\u00DF sie unser Kind nicht mal ins Bett. \u201ENun mach ihr doch ein bisschen Platz, Claire!\u201C Ein bisschen eifers\u00FCchtig war ich schon \u2013 normalerweise war ich die erste Wahl unserer Tochter, wenn es ums Morgenkuscheln ging. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter um sie zu wecken, sie schlief immer noch tief und fest. Zu fest. \u201EClaire?\u201C Unruhe. \u201EClaire?!\u201C Jetzt wurde ich panisch, Viktoria begann zu weinen. Ich drehte sie zu mir herum und sah in ihr vollkommen ausdrucksloses Gesicht. Ich rannte zum Telefon, w\u00E4hlte den Notruf und ging nerv\u00F6s im Haus auf und ab. Vicky tr\u00E4nen\u00FCberstr\u00F6mt auf meinem Arm. \u201EMama heute krank?\u201C, schluchzte sie, nicht verstehend, was gerade passierte. Ich konnte und wollte nicht antworten. Nach gef\u00FChlten Ewigkeiten traf der Notarzt ein, nur um mir zu best\u00E4tigen, was ich l\u00E4ngst wusste. Claire war tot. \u201EWann kommt Mama wieder?\u201C Viktoria zog an meiner Schlafanzughose. Wie paralysiert hatte ich an der T\u00FCr gestanden und dem Krankenwagen nachgeschaut, der den Leichnam meiner geliebten Frau zur Obduktion mitgenommen hatte. Der Arzt hatte vor Ort keine konkrete Todesursache feststellen k\u00F6nnen, ging aber von einem Herzstillstand aus. Nachdem sich die T\u00FCr geschlossen hatte, konnte ich nicht anders. Meine Gedanken kreiselten st\u00E4ndig um das eine: Wie sollte ich meiner Tochter nur erkl\u00E4ren, dass ihre Mutter nie mehr zur\u00FCckkommen w\u00FCrde? Wieviel versteht eine Dreij\u00E4hrige von Leben und Tod? Wieviel konnte sie auf einmal verkraften? Und vor allem: konnte ich es? Komplett hilflos, begann ich mit unserem allt\u00E4glichen Ablauf. Die Zeit verging auf seltsame Weise. Im einen Moment stand ich mit meinem Kind noch im Badezimmer und im n\u00E4chsten schob ich den Rest vom Abendessen in die Mikrowelle. Dann stocherte ich stundenlang apathisch in meinem Teller, nur unterbrochen von Vicky, die wieder und wieder nach ihrer Mutter fragte. Tr\u00E4nen rannen \u00FCber mein Gesicht, egal wie sehr ich dagegen ank\u00E4mpfte oder wie stark ich f\u00FCr Viktoria sein wollte. Ich konnte nicht aufh\u00F6ren. Irgendwann stellte ich fest, dass die Sonne bereits fast untergegangen war. Komisch, gerade eben war ich noch aufgewacht, voller Erleichterung, dass es Viktoria wieder besser ging. Hatte mich auf den Tag gefreut und jetzt\u2026 jetzt stand ich hier in der K\u00FCche und hatte den wertvollsten Menschen in meinem Leben verloren. Eine Welle der Schuldgef\u00FChle \u00FCberkam mich. Wo war Vicky? Ich war so sehr in meinem Schmerz versunken gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie sie aus dem Zimmer gegangen war. Wo sie mich so dringend brauchte, konnte ich nur dastehen und mich meinem eigenen Leid hingeben, ohne an mein Kind zu denken. \u201EVicky? M\u00E4uschen?\u201C Suchend ging ich durch das Haus. In ihrem Kinderzimmer war sie nicht. \u201ESp\u00E4tzchen?!\u201C Sollte jetzt auch ihr noch etwas zugesto\u00DFen sein? Immer schneller rannte ich von Raum zu Raum. Suchte im Bad, in der Diele, wo sie sich gerne im Schrank f\u00FCr die Jacken und M\u00E4ntel versteckte. Endlich fand ich sie im Wohnzimmer. Ganz still hockte sie im Halbdunkel an dem kleinen Tisch, den wir ihr gekauft hatten. Erleichtert kam ich n\u00E4her und setzte mich neben sie auf den Boden. Vollkommen konzentriert sa\u00DF Viktoria da und kritzelte auf ihren Malblock. \u201EWas malst du denn da?\u201C, fragte ich mit belegter Stimme und legte einen Arm um sie. Es kostete mich alle Kraft nicht wieder zu weinen. \u201EGute-Nacht-H\u00E4schen\u201C, sagte sie ohne mich anzuschauen. Ihre Stimme klang schrecklich monoton, als w\u00E4re es nicht ihre eigene. Ich wollte sie tr\u00F6sten, als sie im gleichen emotionslosen Tonfall hinzuf\u00FCgte: \u201EWenn Gute-Nacht-H\u00E4schen zu Ende ist, ist Schluss.\u201C Vielleicht ist es nur Aberglaube. Aber bis heute, zwei Jahre nach Claires Tod, haben wir viele Bl\u00F6cke mit Gute-Nacht-H\u00E4schen gef\u00FCllt. Kategorie:Mittellang Kategorie:Tod Kategorie:Konversationen"@de .